Der Sonderzuch nach Leipzsch

■ Udo Lindenberg rockt zum ersten Mal durch die DDR / Die unabhängige DDR-Musikszene auf neuen Wegen

Trotz Lederjacke für Honni mußte er jahrelang warten. Jetzt durfte Udo endlich seine erste Tournee durch die Tätärä antreten, die am Sonntag mit einem Konzert in der Leipziger Messehalle begann. „Bunte Republik Deutschland“ heißt seine neue Platte, der Titel verweist zugleich auf den Zustand der unabhängigen DDR-Rockszene.

Der Sonderzug ist spät dran. Udo ist noch mitten im Sound und Lichtcheck für die Rundfunkanstalten, da rennen die ersten Fans durch die leere Messehalle auf die Bühne zu, springen in die Luft, reißen die Arme hoch, schreien in verzücktem Sächsisch den Namen des Meisters. Udo, Udo, Udo. Der hat noch die Sonnenbrille auf, kehrt dem Publikum den Rücken, winkt nur kurz und schüchtern mit obligatorischer Halbliter-Bierflasche. Noch einmal die Mikro-Schleuder geprobt, dann ab. Der historische Moment ist für alle da. Noch zwei Stunden bis dahin.

Leipzig, die Hauptstadt der Revolution, ist eine sichere Bank für den Deutsch-Deutsch-Rocker, über Jahre tröstende Kultfigur, jetzt Symbol des Triumphs über die „verklemmten Oberganoven“. Bereits am Neujahrstag kampierte der erste Fan vor den Kassen des Zentralstadions, obwohl der Vorverkauf erst zwei Tage später eröffnet wurde. Acht Stunden in der Schlange war der Warte-Durchschnitt. Karten 38 Mark, schwarz vorm Konzert 200 bis 400. Nicht zuviel für das erste Mal, den Dankgottesdienst für Udo.

Die Augen der Fans leuchten. „Er weiß, was er will, und er hat uns geholfen“, meint ein leicht beduselter Junganhänger mit Deutschlandschal. Eine 16jährige Schülerin lobt sein „Engagement in den deutsch-deutschen Beziehungen“, die „problemorientierten Verse“. Ihr Freund (Jackensticker: „Ich bin stolz...“) lobt Udos „Meinungen“. Nur zwei Schüler stehen eigentlich auf Independent, doch „man muß ihn ja sehen, wenn er schon mal da ist. Der war ja früher verboten“.

Die Messehalle ist ein nackter Betonplatten-Quader. Der Mangel an schallschluckenden Einbauten sorgt für eine brutale Echo-Akustik, im hinteren Drittel wird jeder Drumschlag verdoppelt - ungenießbar. Für zweifelhafte Atmosphäre sorgen die gut verteilten Leuchtreklamen der westlichen Prol-Zigarettenmarke „Chesterfield“. An den Rändern herrscht noch Kommandowirtschaft. Rustikales Catering von Mitropa, Brühwurst, Buletten, Fischbrötchen. Daneben „freischaffende“ Kunsthandwerker mit ihren Ständchen, selbständig, aber zentral organisiert. Hier gibt es noch lila Blusen, Holzspielzeug, Indien-Ohrringe. Auch die erste deutsch-deutsche Initiative zur Rettung der Weltmeere wartet auf problemorientiertes Lindi-Publikum. Aber das Wichtigste fehlt, gerade hier in Udo-Land: T -Hemdchen mit Meisterkopf, Posters, Stickers.

Pressekonferenz, 19 Uhr. Gestopft voll ist der kleine Raum in irgendeinem Stockwerk im Trakt hinter der Halle. Journalisten aus Ost und West - von DT 64 über 'adn‘, Radio Bremen bis zum Darmstädter Echo, GEO, ZDF und Magnus erwarten gelassen den Oberpaniker. Der ist pünktlich und in exotischer Begleitung. Der Herr links von ihm trägt Uniform mit bunten Orden und einen Titel so lang, daß kaum das Mitschreiben gelingt: Genosse Oberstleutnant Afanassiev, Chefdirigent des Stabsorchesters der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte. Und rechts sitzt eine, deren Namen wir später erfahren. Ihr Backstage-Ausweis am Pullover trägt kurz den Namen SWAPO. Mona vertritt rund 30 SchülerInnen der „Schule der Freundschaft“ aus Staßfurt im Bezirk Magdeburg. Die Kinder dieser Schule, 1981 eigens gegründet für Waisenkinder aus Namibia, sind zum Konzert in Leipzig geladen, mit Lindenberg für ein buntes Finale auf der Bühne zu sorgen.

Doch jetzt führt Udo das Wort: „Es soll gar nicht so sehr um den Sänger gehen bei unserem ersten richtigen Konzert in der DDR, sondern darum, daß ihr hier seid, die das möglich gemacht haben durch die gewaltfreie Revolution gerade hier in Leipzig und daß ihr hier selbst entscheidet, wer auf die Bühne kommt und nicht diese Politganoven.“ Ansonsten sei er „ein junger, flexibler Mensch“, der mal „gucken“ wolle, ohne „große Gönnergeste“, nie ohne Hut, weil - „obwohl attraktiver Mensch“ - heute wieder der Scheitel verrutscht sei, und voller Vorfreude für die „Begegnungsfeier“ heute abend.

Der neue Heiland der alten Heldenstadt hält sich streng an die Gepflogenheiten im Geschäft: Um 20 Uhr fighten Jubel und Pfiffe erwartungsvoll gegeneinander, doch erst muß die Vorgruppe auf die Bretter. Die kommen - veranstaltergenerös

-aus eigenem Land und versuchen es ganz laut auf West. Die Jungs von „The Next“ machen's so, wie Männer es machen, und die Mädels zeigen ein bißchen Titte und ein bißchen Straps. Der schlechte Geschmack ist gesamtdeutsch.

Hinter der Bühne wird's derweil militärisch, Jungordner bilden geschlossene Gassen und Volkspolizisten fallen kurz zurück in die strenge Miene von einst: Selbst backstage wird ER abgeschirmt wie einer vom anderen Stern. Noch ein kurzer Schluck aus der Pulle, dann darf der Rocker ran. Dem Jubel in der Halle hält das gesündeste Ohr kaum stand. Der Lederhosentyp aus Hamburg genießt's und nuschelt zum opening Sonntagsreden: “...Feiertag...“, Jubel, “...endlich da...“, Beifall, “...jetzt läuft es so, wie es richtig ist...“, Beifall, “...wir zusammen machen...“, Jubel, “...viel Späßchen...“, Jubel, “...es geht mir an die ... ans Herz.“

Dann geht die richtige Mucke los mit Panik-Kids und -Veteranen und zwei Background-Sängerinnen (Ost). Egal, was Udo gröhlt, der Saal kennt jede Zeile und gröhlt mit. Selbst der neueste Renner - Geile Meile Reeperbahn - ist eindeutig der aktuellste Ort östlicher Begierde. Und kaum ist das Wort von den „Russen auf dem Kurfürstendamm“ gedröhnt, erscheint eine sowjetische Big Band zum Swing auf der Bühne. Darauf folgt das Mädchen aus Ost-Berlin, und die kommt aus Bad Liebenstein in Thüringen und heißt Ina Morgenweck. Ein Solo darf sie dann alleine, gegen Udo kommt keine an, der Beifall für sie ist weniger als höflich. Zum Ende nimmt der Chef sein Tour-Thema Bunte Republik Deutschland beim Wort, und die SWAPO-Kinder aus Staßfurt kreuzen die Rock-Rhythmen mit Ochiwampo-Gesang.

Vor der Zugabe weht es wieder heftig schwarz-rot-golden, in den Fahnen sind Hammer und Sichel gegen das Udo-Face ausgetauscht, Udo for President fordert ein Transparent ganz vorn. Von „Lederjacke“ bis „Oberindianer“ hat Lindi, der Deutschmeister des politischen Kinderreims, am historischen Tag die Symboltracht eingebracht. Bis zur Wiedervereinigung wird er noch gnadenlos jede Chance nutzen.

kotte/kraushaar