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Psychoboom in der DDR?

■ „Gruppentherapie“ - Lesung des DDR-Autors John Erpenbeck im Bürgerhaus Hemelingen

„Gruppentherapie“ - ehrlich gesagt, der Titel spricht mich nicht besonders an. Dafür umso mehr die Tatsache, daß der Autor dieses Romans, John Erpenbeck, aus Ost-Berlin kommend, sich anschließend an die Lesung einem Gedankenaustausch stellen will „über Stimmungen, Gefühle und Meinungen der deutsch-deutschen Situation“. Und, wie sich schon an seinen zahlreichen Funktionen ablesen läßt, John Erpenbeck ist ein interessanter Gesprächspartner: Mitglied im Präsidium des Schriftstellerverban

des, im PEN-Club und in der einzigen gesamtdeutschen Organisation vor November '89, der Goe thegesellschaft; darüberhinaus auch Herausgeber wissenschaftlicher Literatur, Physiker und Philosoph.

Der Roman „Gruppentherapie“, Mitte '88 fertiggestellt, nimmt die inzwischen historischen Entwicklungen seines Landes schon vorweg. Politisch ist er deswegen aber noch lange nicht. Es geht um einen Wissenschaftler namens Frank Schwarzenbach, der nach einem psychisch/physi

schen Zusammenbruch mit Hilfe eines Tagebuchs ( Roman) die Irrfahrt durch seelische Hinterkammern und kindheitliche Traumata antritt, um „sein Selbst bloßzulegen“.

Obwohl das Buch mit einem eindeutigen Fortschritt anfängt („Ich habe geweint. Das ist mir seit mindestens 20 Jahren nicht mehr passiert.“) ist es westdeutsch gesehen wohl eher ein Rückschritt. Denn die Psychoanalysewelle trägt hier nicht mehr so weit wie in der DDR, wo die erste Auflage der „Gruppentherapie“, 10.000 Exemplare, praktisch am ersten Tag vergriffen war. In der BRD hat Erpenbeck bisher noch keinen Verleger gefunden, trotz der Bemühungen seiner Freunde.

Wie findet sich nur von Schwarzenbach aus - für die Diskussion - ein geschickter Übergang zur Tagespolitik? Zum Beispiel durch die Behauptung einer Gesprächsteilnehmerin, die vielen, denen jetzt in der DDR ihr Weltbild zusammengebrochen sei (Frage: Tun sie Ihnen leid? Antwort: Ja! Auch Honecker. Menschlich.), die seien doch ein Fall für die Psychoanalyse. Erpenbeck bestreitet das nicht. Freiheitsentwicklung habe auch immer mit Verlust von Nähe zu tun: „In der DDR herrscht momentan ein Katzenjammergefühl“. Man wisse nicht mehr, wie früher, wo der eigene Platz in der Gesellschaft sei. Selbst die Opposition wäre ja bisher ins System integriert gewesen, sie hatte ihre klar umrissene Aufgabe.

Und die Literatur? Erpenbeck: „Nützen kann Literatur nicht“.

Ein vernichtendes Urteil, das

da, wenn auch etwas zögernd, formuliert wird. Vielleicht sollte es nochmal überdacht werden, angesichts der momentanen Situation, in der die Schriftsteller „drüben“ fast genauso orientierungslos zu sein scheinen wie der Rest der Gesellschaft. Vom Wühlen in der Vergangenheit vorzudringen zu neuen, positiven Inhalten - wäre das nichts? Übrigens genau das, was Herr Frank Schwarzenbach jetzt schleunigst schaffen muß, um nicht Psychowrack zu bleiben. Barbara Kelbe

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