: Schwarztaxen-Risiko: "Ich zerstech' dir die Reifen!"
■ Wer in der DDR mit Jobben seinen Lebensunterhalt verdienen will oder muß, hat es doppelt schwer / Die Innung läßt "Wildwuchs" nicht zu / Ein Plädoyer für die Deregulierung der...
Im Jahr 1978 erhielt der Autor den Hörspielpreis der DDR (Kritikerpreis). Nach seinem nächsten Hörspiel jedoch (1979) erschien keine Zeile mehr von ihm. Keine einzige. Obwohl oder eben gerade weil - er seitdem „bewußter, mithin politischer“, wie er selbst sagt, schrieb. Er verbrachte die letzten zehn Jahre schreibend, aber ohne Einkommen in Ost -Berlin. Leben an der Armutsgrenze? Aber es geht auch noch darunter.
„Das ist deine letzte Fahrt. Wenn ich dich noch einmal hier sehe, zerstech‘ ich dir die Reifen.“
Bahnhof Berlin-Schönefeld, eine unübersehbare Schlange von Wartenden am Taxistand. Die Taxifahrer bringen die mit Koffern und Taschen schwer beladenen Randberliner nicht in ihre Dörfer: „Das ist uns zu weit!“ Schwarztaxen fahren vor, werden gestürmt. Alle wissen, die sind „illegal“, haben kein Gewerbe, zahlen keine Steuern.
Ich bringe in meinem „Wartburg“ bei Glatteis und Dunkelheit überschwenglich Dankende in ihre entlegenen Orte. Mehrmals komme ich südlich von Berlin an dem kleinen Schilfrohrdach vorbei, das ich im Jahr 1977 für Hilmar Thate und Angelika Domröse baute und dann wegen illegaler Schwarzarbeit den Schriftstellerverband der DDR verlassen mußte; darüber später, die Papiere sind aufbewahrt. - Stunden sitze ich am Steuer, tief auf den einsamen Rückfahrten in Gedanken. Wann endlich wird es freie Taxigenehmigungen geben, wenigstens die? Wann wird es Genehmigungen für Schilfdachdecker geben? Und und und? Das Leben geht vorbei, und was hat man gedurft in der DDR...?
Bei der Rückkehr nach Schönefeld, bei einer Bockwurst, greift mich ein junger, magerer Mann am Arm: „Ich hab‘ dich genau beobachtet, deine Nummer ist notiert. Ich zerstech‘ dir die Reifen.“
Empörte Reisende klären mich auf: In die entlegenen Dörfer werden sie nur noch für West-Mark gefahren! Deshalb also die Weigerung der Taxenfahrer! Nicht der Weg war ihnen zu weit, sondern das Ostgeld, mit dem sie bezahlt werden sollen, war ihnen zu schäbig und zu wertlos!
Ich muß an den Herrn Bundespräsidenten denken. Auch Schwarztaxen ins Umland der einstigen Reichshauptstadt nur noch gegen harte DM; wer dagegen verstößt, dem werden die Reifen zerschnitten. So regelt das Volk die unausweichliche Angleichung der beiden ungleichen deutschen Währungen? Mir kommen Bedenken, ob von Weizsäckers Mahnung, mit viel Geduld sich viel, viel Zeit zu lassen, für den kleinen Mann denn wohl ohne ausgeschlagene Zähne durchzuhalten sein wird?
Schwarztaxe zu fahren ist da als Einkommensquelle naheliegend.
O.B. Harald
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen