Zensur in Kuba?

■ Zum 11.Internationalen Festival des Neuen Lateinamerikanischen Kinos in Havanna

Spektakulär war das 11.Internationale Festival des Neuen Lateinamerikanischen Kinos in Havanna vom 4. bis 18.Dezember 1989 nicht. Viel Prominenz war nicht erschienen, und auch die Presse war nicht stark vertreten. Nur ein kleiner, familiärer Kreis traf sich morgens beim Frühstücksbuffet im Hotel National, der einstigen Geldwaschanlage Amerikas.

Schon der Eröffnungsfilm Die Schöne von Alhambra (La bella de Alhambra) offenbarte, in welche Richtung es mit dem kubanischen Film geht. Eine kubanische Spielfilmproduktion von 1989, gedreht nach der Novelle des kubanischen Autors Miguel Barnet Gesang der Rachel. Ein technisch brillanter Film, der mit exzellenten Kamerafahrten und Bildern die Atmosphäre des Nacht- und Kabarettlebens der zwanziger und dreißiger Jahre in Havanna einfängt. Dem Film zufolge war das Leben zur Zeit der Machadodiktatur, die zu einer der düstersten Epochen Kubas zählt, leicht, lustig, fröhlich. Eine Ära, in der Bandenkriege, Prostitution und Geldschiebereien die Insel zum amerikanischen Bordell verkommen ließen. Im Film ist diese Epoche bunt und schillernd. Im ständigen Wechsel der Genres, vom Musical zum Melodram, wird die Lebensgeschichte Rachels erzählt. Als Tänzerin in einem billigen Variete verdient sie ihren Lebensunterhalt, dort verliebt sie sich in einen Sohn aus besserem Hause. Er verläßt sie, Rachel verliert den Glauben an die Menschheit. Ohne Skrupel arbeitet sie nun an ihrem Aufstieg im Kabarett „Alhambra“.

Das Schicksal dieser Produktion ist ungewiß. Gerüchte machten die Runde, daß der Film aus den kubanischen Kinos verschwinden sollte. Der Grund: Einer der Hauptdarsteller soll bei Dreharbeiten im Ausland geblieben sein.

Der Film als Waffe gegen die Unterdrückung in der Dritten Welt - darin sahen die Regisseure des jungen kubanischen Kinos in den sechziger und siebziger Jahren ihre Aufgabe. Nach der Revolution 1959 wollten die Filmschaffenden in Kuba ein „authentisches“ Kino entwickeln, das die soziale Realität widerspiegelt, diskutiert und Lösungen anbietet. Sie wollten ein Kino schaffen, das mit den klassischen Genres der Hollywoodproduktionen bricht und eine eigene Identität gewinnt. Mit diesem Konzept machte sich das kubanische Kino über die Grenzen Lateinamerikas und der Karibik hinaus einen Namen.

Doch die kubanischen Spielfilmproduktionen, die während des 11.Internationalen Filmfestivals in Havanna gezeigt wurden, hatten mit der alten Konzeption nicht mehr viel zu tun. Alltag in Kuba und seine Probleme bleiben ausgeblendet. Das einst so revolutionäre Kuba wehrt sich entschieden gegen die geradezu revolutionären Entwicklungen in Europa. Glasnost und Perestroika sind im Film nicht mehr erwünscht.

Die Gestaltung des Filmprogramms bot immer wieder Anlaß zu Überraschungen. Ursprünglich sollten fünf kubanische Spielfilme am Wettbewerb des Festivals teilnehmen. Gezeigt wurden jedoch nur vier Produktionen. Bajo Presion (Geringer Druck) des kubanischen Regisseurs Viktor Casaus entfiel. Die offizielle Erklärung: „Projektionsprobleme“, „technische Mängel“. Auch als Videokopie war der Film während der Filmbörse nicht zu sehen. Begründung: Der Film sei noch zu neu - es existiere noch keine Videoaufzeichnung. Doch produziert wurde der Film Bajo Presion genau wie die übrigen vier konkurrierenden kubanischen Spielfime. Und die anderen vier konnte man sich jederzeit auch als Videokonserve ansehen.

Fiel dieser Film, trotz vorheriger Ankündigung in der Presse, der kubanischen Zensur zum Opfer? Im Pressematerial findet sich eine Inhaltsangabe: Handlungsort - eine Fabrik in der Umgebung von Havanna um 1984. Ein Arbeiter, Protagonist des Films, ausgezeichnet als Held der Arbeit, erleidet in der Fabrik einen Unfall. Während der schwierigen Untersuchungen des Vorfalls verändert sich sein Leben. Zum Schluß enthüllt er das Fehlverhalten der Direktion.

Aber vielleicht liegt es ja an der Musik, die von Carlos Varela komponiert wurde. Für die kubanische Regierung ist Carlos Varela ein ungeliebter Liedermacher, der bisher offiziell keine Platte veröffentlichen und keine eigenen Konzerte geben konnte. Für die Jugend Kubas jedoch ist Varela ein Idol, ein heiß umworbener Popstar.

So war der Auftritt Varelas auch einer der Höhepunkte im Beiprogramm des Festivals. Silvio Rodriges, einer der populärsten kubanischen Musiker, teilte sich sein Konzert im Theater „Karl Marx“ mit Carlos Varela. Als Varela auf der Bühne erschien, sprangen die Jugendlichen von ihren Plätzen, tanzten, sangen die Liedtexte mit und drängten an den Bühnenrand. Vereinzelt stürmten Groupies die Bühne, bis sich Wachpersonal und Polizei vor der Bühne zusammenzogen. Dennoch, die Atmosphäre blieb entspannt. Selbst Polizisten in Uniform tanzten zu den Rhythmen Varelas.

Ein Streifzug durch das lateinamerikanische Kino der zwanziger bis in die fünfziger Jahre gehörte zum Programm im Kino „La Rampa“, das von einem Seminar begleitet wurde. Aber auch in den Provinzstädten Kubas liefen die Filme aus dem Wettbewerbsprogramm, und die Kubaner machten regen Gebrauch davon. Endlose Schlangen - nicht nur vor Lebensmittelläden, sondern auch vor den Kinos - prägten das Stadtbild von Havanna. Renner der Festspiele war der Film von Spike LeeDo the right thing.

Während des Festivals trafen sich Vertreter der Stiftung des lateinamerikanischen Kinos in der Filmschule „Der Drei Welten“ in San Antonio de los Banos zu einer Krisensitzung. Die Internationale Film- und Fernsehschule wurde 1986 in Kuba gegründet und der Stiftung des Neuen Lateinamerikanischen Kinos übereignet. Die Stiftung arbeitet unabhängig von der kubanischen Regierung. Im Moment studieren dort 120 Studenten aus den drei Kontinenten Lateinamerika, Afrika und Asien. Die Schule trägt den Beinamen „Zentrum der audiovisuellen Energie„; ihr Logo, ein roter Kreis, ein blaues Quadrat und ein gelbes Dreieck übereinander, soll die antischolastischen Grundzüge der Schule symbolisieren. Gleichzeitig stehen die drei Zeichen aber auch für die drei Ausbildungszweige. Die sechsmonatige Grundausbildung - das gelbe Dreieck - soll die Studenten befähigen, als Assistenten von Regie, Kamera, Ton, Schnitt und Produktion zu arbeiten. Es folgt eine dreijährige Standardausbildung (zu zwei Dritteln ein Studium generale, zu einem Drittel Spezialausbildung), die zur vollen Qualifikation als Regisseur, Kameramann, Ton- und Schnittmeister und Produktionsleiter führt. Das blaue Quadrat steht für die „Werkstatt des Experimentierens“, gedacht für bereits arbeitende Regisseure. „Dialog des hohen Studiums“ - symbolisiert durch den roten Kreis - ist die Meisterklasse.

So gesehen ist die Internationale Film- und Fernsehschule in San Antonio de los Banos eine Ausbildungs- und Weiterbildungsstätte und eine Akademie gleichzeitig. Spenden, die die Stiftung des Neuen Lateinamerikanischen Kinos unter dem Vorsitz von Gabriel Garcia Marquez aus der ganzen Welt erhielt, sorgten für die Umsetzung des Konzepts. Jetzt leidet die Schule „Der Drei Welten“ an chronischem Geldmangel, der die Stiftung zwingt, das Konzept zu ändern. Statt in drei Jahren sollen die Studenten in Zukunft die Filmschule im Schnelldurchlauf absolvieren: alle drei Ausbildungsphasen in einem Jahr, gefolgt von einem praktischen Jahr im Herkunftsland des Stipendiaten. Nach Abschluß des Praktikums kann er sich dann erneut an der Filmschule für ein weiteres Spezialisierungsjahr bewerben.

Es ist zu befürchten, daß die Studenten in Zukunft zu Technikern und nicht mehr zu Regisseuren ausgebildet werden. Fernando Birri, argentinischer Regisseur und Direktor der Filmschule, sieht noch eine Möglichkeit zur Kostensenkung in Co-Produktionen mit dem Ausland. Er stellte denn auch eine erste dokumentarische Co-Produktion der Schule mit europäischem Ausland auf einer Pressekonferenz vor.

Vu compra - No tienen sentido (Kämpfen Sie - Seien Sie nicht so empfindlich) ist eine gelungene Video-Co -Produktion mit Italien. Der Film schildert die soziale und ökonomische Situation von Emigranten aus Senegal im Norden Italiens. Interviews in Pisa mit der dort lebenden Bevölkerung verdeutlichen die Fremdenscheu der Italiener, die bis hin zu rassistischen Äußerungen schonungslos die Ghettosituation dokumentiert, in der die Senegalesen im Norden Italiens leben. In der kubanischen Presse fand der Dokumentarfilm kein Echo. Genausowenig wurde die Produktion in das Videoprogramm aufgenommen. Selbst die Werbung während des Festivals mußten die sechs Schüler, die an der Produktion beteiligt waren, selbst übernehmen.

Die Ignoranz gegenüber der Schule „Der Drei Welten“ ist neu. Noch vor einem Jahr war sie Prestigeobjekt der kubanischen Regierung, etliche Kurzfilme der Schule wurden in das offizielle Programm der Festspiele aufgenommen. Videodarstellungen mit bis dahin in Kuba tabuisierten Themen - Homosexualität, alternative Kunst, Kuba ohne Fidel Castro usw. - wurden aufgeführt. Heute ist es selbst bei einem Besuch in der Schule schwierig geworden, Produktionen neueren Datums zu sehen.

1989 waren die Gewinner der 'Schwarzen Corallen‘ im Bereich des Spielfilms: Ultima imagenes del naufragio (Das letzte Bildnis der Schiffbrüchigen) von Eliseo Subiela, den zweiten Preis gewann die kubanisch-spanische Co -Produktion Papeles Secundarios (Zweitrangige Papiere) von Orlando Rochas, der dritte Preis ging an den mexikanischen Film von Alejandro Pelayo Sterben im Golf (Morir en el golfo). Aber der Gewinner stand schon vor dem Festival fest. Am 3.Dezember 1989, einen Tag vor der Eröffnung des Festivals, war der Preisträger bereits vom staatlichen Presseorgan, der 'Granma‘, ermittelt.

Andrea Röder