piwik no script img

Wie aus Beton Gold gemacht werden kann

■ Die DDR-Firma Limex verkauft ab 20.Januar im Regierungsauftrag Mauersegmente von den neuen Grenzdurchgängen / Die Nachfrage soll den Preis bestimmen / Erlös soll ins Gesundheitswesen fließen / Die ganze Mauer fällt wohl nicht

Ost-Berlin (taz) - „10.000 Mark für ein ganzes Mauerstück?“ Helge Möbius, Abteilungsleiter der DDR-staatlichen Außenhandelsfirma Limex-Bau Export-Import, lacht dem teuer gekleideten Anbieter aus West-Berlin herzlich ins Gesicht: „100.000 Mark, mindestens...“

Dipl. oec. Möbius ist ein launiger Charmeur und hat derzeit auch allen Grund dazu: „Ich habe noch nie ein so schönes Monopolgeschäft gehabt. Ich sitze auf der Mauer und warte, bis der Preis hochgegangen ist.“ Presse und Kaufinteressenten empfängt er gemeinsam im Kaminzimmer der Ostberliner Limex, wo zwar kein Kaminfeuer lodert, aber ein Kuckuck alle Stunde aus der Uhr springt und ein blaues Segelschiff die Wand entlangschrappt.

Wo sind wir hier eigentlich? In einem Betrieb mit volkseigenem Geschmack und hehren sozialistischen Zielen oder in einem knallhart kalkulierenden hanseatischen Kaufmannskontor? „Ich bin Kaufmann, und zwar leidenschaftlich gern“, gesteht Herr Möbius. Vom Spekulanten unterscheidet ihn nur, daß er sich offen zu seinen Zielen bekennt: „Der Preis für die 40 bis 70 Mauersegmente, die aus den neuen Grenzöffnungen stammen und die wir im Auftrag der Regierung Modrow verkaufen, der kann gar nicht hoch genug sein. Er dient ja schließlich einem guten Zweck. Der Erlös abzüglich der Abrißkosten kommt nämlich auf ein Spendenkonto der Regierung. Sie wird das Geld dem Gesundheitswesen und der Denkmalspflege zukommen lassen.“

Der Geschäftstrick, der den Dipl. oec. so optimistisch stimmt, ist das Echtheitszertifikat: „Wir haben das Monopol, wir sind die einzigen, die die Dinger mit diesem Metallstempel verkaufen.“ 90 Tonnen Mauer seien in den USA schon verscherbelt worden, „und ich wette mit Ihnen, das meiste stammt aus irgendeiner Baugrube. Aber ein garantiert echtes Segment mit Graffiti oder vom Brandenburger Tor wird sicher eine halbe Million bringen. Denken Sie nur an die schwerreichen US-Museen oder an die Ölscheichs.“ Auch diverse andere japanische und amerikanische Firmen hätten schon Interesse angemeldet, berichtet Herr Möbius hochzufrieden.

Und er hat ja auch recht: Sich die Freudentränen sentimentaler Millionäre in Geld aufwiegen zu lassen, gehört wohl noch zu den pfiffigsten Ideen der Regierung Modrow. Aus Beton Gold machen - eine neue alchemistische Formel?

Aber: „Wir haben es nicht eilig“, sagt der coole Kaufmann, „das ist kein Tagesgeschäft.“ Der Verkauf an die interessierten Museen - womöglich im Rahmen einer internationalen Auktion - werde wohl nicht vor Ende 1990 abgeschlossen sein. Auch seinen Westberliner Kunden vertröstet er: „Bislang haben wir ganz bewußt noch kein einziges Stück verkauft. Ab 20.Januar können Sie unser Angebot auf Fotos besichtigen und dann noch einmal einen Preis nennen.“ Der Kunde nickt eifrig. Doch dann fällt ihm noch ein: „Und was passiert mit dem Mauerrest?“ Er fragt fast ängstlich. „Den verkauft dann die taz, dann wird sie endlich eine schwergewichtige Zeitung.“ So gewichtig wie die Idee, vielleicht auch noch einige weitere der insgesamt 155 Kilometer Beton vergolden zu lassen, wenn sie denn nicht von den Souvenirjägern schon durchlöchert worden sind wie Schweizer Käse.

Was ist denn mit dem Neujahrsvorschlag von Ost-Berlins Bürgermeister Krack, die Mauer durch einen Zaun zu ersetzen? Der Alchemist orakelt: „Einen offiziellen Beschluß der Regierung gibt es dazu noch nicht, auch wenn der eindeutige Wille besteht, die Mauer verschwinden zu lassen. Wir werden einiges verkaufen, anderes wird noch eine Weile stehen bleiben.“ 155 Kilometer Mauer abzureißen, das koste immerhin über zwölf Millionen Mark, die momentan woanders dringender benötigt würden. Aber selbst Uhrenproduzenten oder auch landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften hätten bereits ihr Interesse an den Betonteilen signalisiert: „Warum keine Mais-Sillagen daraus machen?“

Ute Scheub

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen