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taz als kirchliches Sprachrohr?-betr.: "Auf Seelenfang in Ost-Berlin", taz vom 4.1.90

Betr.: „Auf Seelenfang in Ost-Berlin“, taz vom 4.1.90

Ich plädiere für absolute Religionsfreiheit in Ost und West. Ebenso für völlige Informations- und Entscheidungsfreiheit für Glaubensfragen. Die Sorgen der kirchlichen „Sektenforscher“ sind in Anbetracht der gesamten Kirchengeschichte und Kindtaufen etc. begründet. „Du sollst nicht andere Götter haben...“, sondern Kirchensteuer zahlen? Hetze gegen Andersdenkende - moderne Hexenjagd?

H.Förster, Berlin

Da das schon der zweite Artikel dieser Machart ist, schwinge ich mich hiermit auf, Euch etwas zu erleuchten:

1. Habt Ihr Euch schon mal überlegt, was das eigentlich ist, eine „Sekte“ oder gar eine „Jugendreligion“? Soweit ich das überblicken kann, beschimpft man damit jede religiöse oder spirituelle Gruppe, die nicht altehrwürdig und - wenn schon nicht hier in deutschen Landen, dann wenigstens in anderen Staaten - institutionell gefestigt und möglichst staatstragend ist. „Jugendreligion“ heißt so viel wie „Jugendrevolte“ oder „überwiegend jugendliche TeilnehmerInnen“ bei Demos: pubertär und nicht ernst zu nehmen. Gewiß ist es ein Fortschritt, daß niemand mehr von Ketzern spricht, auch die taz nicht.

2. Die legendären Sektenbeauftragten der katholischen und evangelischen Kirchen über „Sekten“ zu befragen hat die gleiche Qualität wie eine Befragung von CDU-PolitikerInnen (oder lieber einen alten Sozialdemokraten?) über gesellschaftliche Basisbewegungen, Bürgerinitiativen und neue Parteien.

3. Wenn Euch die ehrenwerte Sorge quält, unsere Brüder und Schwestern im Osten seien diesen undurchschaubaren SeelenfängerInnen ach-so-hilflos ausgeliefert, dann würde es sich anbieten, Informationen über die ganze spirituelle, Psycho- und New-Age-Szene bereitzustellen und zu verbreiten. Zum Beispiel könnte man Selbstdarstellungen verschiedener Gruppierungen und Strömungen mit Fremddarstellungen und Kommentaren zusammenbringen. Eine etwas breitere Darstellung dieses Bereiches könnte sicher auch manchem/r WestberlinerIn und BundesbürgerIn Orientierungshilfen geben, und es gab ja gelegentlich auch schon qualifizierte Berichte und Darstellungen in der taz. Vielleicht solltet Ihr mal die entsprechenden MitarbeiterInnen interviewen.

Andreas

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