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„Todkrankes Stadtindividuum“

■ „1. Volksbaukonferenz“ diskutierte am Wochenende in Leipzig / „Plattenmafia“ mußte sich Kritik stellen

Leipzig (taz) - Der Leipziger Chefarchitekt Dr. Fischer hat jetzt seinen Rücktritt erklärt. Das ist, wenn man so will, das erste greifbare Ergebnis der „1. Volksbaukonferenz“ in Leipzig. Am letzten Wochenende hatten sich in einer schlecht geheizten Messehalle etwa 1.000 Architekten, Stadtplaner, Kombinatsvertreter und Intellektuelle zusammengefunden, um über die Rettung dieser Stadt zu beraten.

„Behutsame Revitalisierung eines todkranken Stadtindividuums“ (Architekt Schikoleit) war das Thema, und auch: die Rettung der Stadt vor ihrer absehbaren Vernichtung durch „die Platte“. Das Ungewöhnliche dieser Konferenz war, daß die Vertreter der „Plattenmafia“ und die von ihnen symbiotisch abhängigen städtischen Auftraggeber sich zum ersten Mal einer öffentlichen Kritik stellen mußten.

Die Lage in Leipzig gilt als eine Schlüsselsituation für das Überleben der DDR, nicht nur wegen der „Montagsläufe“, sondern wegen der gesamten Wohn- und Lebenssituation. Die Regierung Modrow hat deswegen eine riesige und wohl kaum arbeitsfähige Regierungskommission aufgeboten, in der etwa vierzig Vertreter aller betroffenen Ministerien sich um die Stadt Leipzig kümmern sollen. Der angereiste Baumminister Baumgärtel (CDU) bot denn eine Erhöhung der Baukapazität und die Rückführung von 92 Millionen von Ost-Berlin nach Leipzig an. Daß er nur Empörung erntete, lag daran, daß mit der bisherigen Erhöhung des Neubaus Leipzig nicht zu retten ist. Das Monopol der Plattenkombinate hat dazu geführt, daß es kaum frei verfügbare Bauhandwerker noch Baumaterialien gibt, um die Altbausubstanz zu retten. Ergebnis: Der Verfall der noch fast zusammenhängenden Gründerzeitviertel eilt dem Neubau voraus. Bei der statistisch geringsten Bevölkerungszahl hat Leipzig gegenwärtig die größte Wohnungsnot. Außerdem bedingt rationeller Platteneinsatz die Vernichtung traditioneller Fluchtlinien und Stadträume.

Die Vertreter der Denkmalpflege, der bildenden Kunst und Hochschullehrer hatten schon vor der Anreise von Baumgärtel den Minister mit Telegrammen bombardiert, einen sofortigen Abrißstopp zu erwirken. Chefarchitekt Fischer, der in einem mühsamen Kompromiß mit den Plattenkombinaten auch ein Bauen im historischen Stadtkern ohne Flächenabriß erreicht hatte (mit abscheulichen Ergebnissen), sah nach dieser Konferenz keine Mehrheit mehr. Die Forderungen nach Abrißstopp, nach Kontrolle der Stadtplanung durch ein Bürgerkomitee und nach Umsturz in der Bauwirtschaft hatten die Mehrheit.

Klaus Hartung

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