Modrow: Ohne Staatsstreich Präsident geworden

■ Regierungserklärung des DDR-Ministerpräsidenten vor der Volkskammer / Reisegesetz verabschiedet / Verteidigungsminister legt Entwurf für ein Zivildienstgesetz vor / Kammer legt Wahltermin für den 6. Mai fest / Modrow gibt schwere wirtschaftliche Probleme zu

Berlin (afp/dpa) - DDR-Ministerpräsident Hans Modrow hat gestern in einer Regierungserklärung der Opposition das Recht abgesprochen, die Legitimation seiner Regierung anzuzweifeln. „Ich kann mich nicht entsinnen, durch einen Staatsstreich Ministerpräsident geworden zu sein“, sagte Modrow und forderte ein stärkeres Engagement des runden Tisches. Der Regierungschef verteidigte die umstrittene Schaffung eines Verfassungsschutzes und eines Nachrichtendienstes und kündigte für den kommenden Montag am runden Tisch detaillierte Informationen zur Sicherheitslage an. Den runden Tisch forderte er auf, durch „kompetente Persönlichkeiten“ an der Regierungsarbeit direkt und verantwortlich teilzunehmen.

Während der Modrow-Rede demonstrierten 300 Bauarbeiter vor der Volkskammer gegen die Schaffung neuer Sicherheitsdienste vor den Wahlen und gegen Überbrückungsgelder für ehemalige Stasi-Mitarbeiter. Am späten Nachmittag wollten Oppositionsgruppen eine Menschenkette rund um den Palast der Republik bilden. Die DDR hat den Wahltermin auf den 6. Mai festgelegt. Der entsprechende Antrag des Präsidiums wurde am Nachmittag bei fünf Gegenstimmen und 15 Enthaltungen mit großer Mehrheit gebilligt.

Auf die Frage eines Abgeordneten, warum gleichzeitig mit der Volkskammer nicht auch die kommunalen Parlamente neu gewählt werden, antworteten Volkskammerpräsident Günther Maleuda und der Vorsitzende des zuständigen Ausschusses, daß die Zeit zur Vorbereitung dafür nicht ausreiche. Nach seinen Äußerungen sollen vielleicht schon im Herbst die Parlamente in den Städten und Gemeinden gewählt werden.

Die Volkskammer verabschiedete am ersten Sitzungstag auch ein neues Reisegesetz in zweiter Lesung mit einer Gegenstimme und drei Enthaltungen. Das Gesetz, das am 1.Februar in Kraft treten soll, spricht jedem Bürger der DDR das Recht zu, jederzeit ins Ausland zu reisen und zu diesem Zweck einen Reisepaß zu erhalten. Der Paß kann jedoch versagt oder eingezogen werden, wenn ein DDR-Bürger unerlaubt im Ausland arbeitet, schwerwiegend gegen Zoll oder Devisenbestimmungen verstößt oder wenn gegen ihn wegen des Verdachts einer vorsätzlich begangenen Straftat ermittelt wird.

Zu den Beratungen der 14. Volkskammer waren erstmals Vertreter neuer Parteien und Oppositionsgruppen eingeladen, die jedoch kein Rede- und Fragerecht hatten, wie sie beantragt hatten. Im Mittelpunkt der Beratung am Donnerstag standen neben der Regierungserklärung Modrows und der Verabschiedung des Reisegesetzes die Beratung über die Schaffung von Verfassungsgrundlagen für ausländische Unternehmensbeteiligungen (joint-ventures). Wirtschaftsministerin Christa Luft stellte einen Entwurf vor, der ausländische Beteiligungen bis 49 Prozent, Investitionsschutz und Gewinntransfer vorsieht. Er soll am heutigen zweiten Sitzungstag beraten werden.

Breiten Raum nahmen in der Regierungserklärung wirtschaftliche Fragen ein. Modrow mußte vor der Volkskammer zugegeben, daß die wirtschaftliche Lage der DDR problematisch ist, besonders wegen des Aderlasses an Arbeitskräften. Im vergangenen Jahr hätten 250.000 Arbeitskräfte die DDR verlassen. Besondere Lücken entstanden im Gesundheits- und Sozialwesen. Die DDR-Produktion sei im vierten Quartal absolut zurückgegangen. Es sei zu erwarten, daß das Produktionsvolumen im laufenden Jahr nicht höher sein werde als 1989, dafür sei jedoch bereits ein Anstieg der arbeitstäglichen Leistungen von 2,8 bis 3 Prozent nötig. Modrow versicherte den Bürgern, daß eine Währungsreform nicht geplant und die Sparguthaben gesichert sind.

Zur deutschen Frage sagte Modrow, die Vereinigung der Bundesrepublik und der DDR stehe „nicht auf der Tagesordnung“. Diese Perspektive sei eine Frage der Zukunft, die in den Rahmen einer zukünftigen europäischen Einigung eingebettet werden müsse. Die Position der DDR-Regierung zu den europäischen Grenzen, insbesonders zur Oder-Neiße -Grenze, sei definitiv. Modrow sagte zum bevorstehenden DDR -Wahlkampf an die Adresse der Bundesrepublik, es könne kein Verständnis für Einmischung von außen geben. Auf ein von Oppositionsgruppen befürchtetes Verbot von Parteihilfen aus dem Ausland ging er jedoch nicht ein.

Nach der Regierungserklärung billigte die Volkskammer eine kleine Regierungsumbildung, die faktisch schon weitgehend vollzogen war. Der Liberaldemokrat Kurt Wünsche wurde als neuer Justizminister, Peter Diederich von der Bauernpartei (DBD) als Umweltminister und Hans Joachim Lauck (SED-PDS) zum neuen Minister für Maschinenbau gewählt. Sein Vorgänger Karl Grünheid ist als Vorsitzender des Wirtschaftskomitees der Regierung vorgesehen, des Nachfolgers der Plankommission. Zum neuen Generalstaatsanwalt wurde Hans -Jürgen Joseph (SED-PDS) bestimmt. Einen Entwurf für ein Zivildienstgesetz der DDR legte Verteidigungsminister Vizeadmiral Theodor Hoffmann vor. Der Dienst soll ausdrücklich kein „Wehrersatzdienst“ und dem Arbeitsministerium unterstehen, eine „Gewissensprüfung“ ist nicht vorgesehen. Der Zivildienst muß mit Glaubens- und Gewissensgründen begründet werden. Der Dienst soll mit 18 Monaten sechs Monate länger dauern als der Wehrdienst.