: „Bettelmarsch“ gegen drohende Abschiebung
■ Mit ihrem Marsch auf die Landeshauptstadt wollen die Roma eine politische Entscheidung forcieren
Die dreieinhalbtausend Roma Nordrhein-Westfalens wollen sich nicht länger mit Übergangs- oder Duldungslösungen nach dem geltenden Asylrecht zufriedengeben. Sie fordern von der Düsseldorfer Landesregierung das Bleiberecht für alle. Die Situation der Roma in ihrem Heimatland Jugoslawien ist nach wie vor unsicher.
Seidenstrümpfe in Badeschlappen lugen unter der blauen Hose einer Frau hervor, zarte Halbschuhe, Sandalen und Westernstiefel bei den Jugendlichen - nicht gerade ideale Fußbekleidung für einen dreitägigen Marsch von Köln nach Düsseldorf. Aber egal ob in Turnschuhen oder schon humpelnd vor Blasen, über 800 Roma sind entschlossen, zusammenzubleiben und sich mit dem „Bettelmarsch“ gegen drohende Abschiebungen zu wehren. Am Mittwoch machen sie Rast auf einem kiesbestreuten Platz am Rande der Bundesstraße 9, wenige Kilometer vor Neuss. Unterwegs sind sie bereits seit Samstag, dem Tag, an dem sie den Kölner Dom besetzten. Von dort aus erhielten sie Quartier im ehemaligen Gebäude des Verfassungsschutzes in Köln, am Dienstag dann begann der „Bettelmarsch“ über die Landstraße.
Aus Plastiktüten werden jetzt Wasserflaschen und Stullen herumgereicht, man sitzt auf Plastikplanen. Eine Horde herumalbernder Jugendlicher hat sich auf einem langen Baumstamm niedergelassen und läßt sich von einem schüchternen jungen Fotografen ablichten. Mit den Roma ins Gespräch zu kommen, ist dagegen schwierig. „Rudko“, sagen sie, „sprechen Sie mit Rudko.“ Rudko Kawczynski, Gründer der Roma und Sinti Union und Vorsitzender der Hamburger Roma und Sinti Union, hat sich, nach Auseinandersetzungen mit Kölner Roma-VertreterInnen, an die Spitze des Marsches gesetzt. Wozu einzelne Menschen aus dem Zug nichts sagen wollen, faßt Rudko eloquent zusammen: Mit dem „Bettelmarsch“ zum Ministerpräsidenten nach Düsseldorf geht es zum ersten Mal für die 3.500 Roma im bevölkerungsreichsten Bundesland nicht um irgendwelche Übergangs- und Duldungslösungen nach dem Asylrecht. Sie wollen das Bleiberecht - „für alle, die jetzt hier sind“, sagt Kawczynski, „zum Beispiel mit einer Stichtagregelung wie in Hamburg. Dazu Regelungen zur Familienzusammenführung. Fertig.“
Für den 34jährigen ist ein Gutachten über die Situation der Roma in Jugoslawien von der Gesellschaft für bedrohte Völker, das die NRW-Landesregierung abwarten will, bevor sie neu berät, längst Geschichte. „Wir wollen politische Entscheidungen für eine generelle Lösung. Keine Einzelfallentscheidungen, keine Duldung nach Asylverfahren.“ Asylverfahren seien bisher für Roma die einzige Möglichkeit gewesen, in der Bundesrepublik zu bleiben.
Laster donnern unaufhörlich an dem Zug vorbei, der sich wieder in Bewegung gesetzt hat. An einem Industriegebiet vorbei geht es nach Neuss, wo zur Übernachtung eine Halle bereitgestellt wurde. Auf der gegenüberliegenden Fahrbahn werden Kinder in zwei orangefarbenen LKWs gefahren: „Bleiberecht, Bleiberecht!“ rufen sie in wiederkehrenden Sprechchören. Außerdem rollen einige Autos und Krankenwagen der Johanniter mit im Zug. Etwa 30 Frauen und ebensoviele Kinder sind geschwächt oder krank. Viele haben Grippe, einige der Kinder inzwischen auch die Windpocken. Besonders schwangeren Frauen geht es schlecht, andere, mit Säuglingen auf den Armen, lassen sich in den Autos transportieren.
Der mühsame Marsch fand bereits viele UnterstützerInnen. Alle Kirchen Dormagens wollten die Roma beherbergen. Der evangelische Landeskirchenrat Jörn-Erik Gutheil eilte direkt von der rheinischen Landessynode, die derzeit in Bad Neuenahr tagt, in die Christus-Kirche in Dormagen, um den Roma die Unterstützung seiner Kirche zu versichern. Die Evangelischen treten seit Jahren für ein Bleiberecht ein. Auf ihrer Synode wollen sie außerdem einen Rechtshilfefonds für die noch laufenden Asylverfahren begründen und mit 50.000 Mark ausstatten. Eine Sofortspende von 20.000 Mark brachte Gutheil gleich mit. Das „erbärmliche Hin- und Herschieben der Roma durch Europa“, so Gutheil, müsse ein Ende haben. In der Praxis sei die Abschiebung ohnehin keine Lösung, die Abgeschobenen kämen immer wieder.
Am Donnerstag nachmittag dann erreicht der Roma-Marsch Düsseldorf. Ministerpräsident Johannes Rau hatte bereits am Morgen erklärt, daß er nicht mit den Roma sprechen werde. So verhandeln in der Staatskanzlei Rudko Kawczynski sowie Vertreter von Roma-Initiativen aus Krefeld und Düsseldorf mit Innenminister Schnoor. Neues kommt dabei nicht heraus. Angesichts der fast tausend Menschen „in einer elenden Situation“ falle es ihm zwar schwer, nein zu sagen, meint Schnoor. Dennoch werde weder der Abschiebestopp wieder in Kraft gesetzt noch gebe es ein Bleiberecht. Unter lauten „Rudko„-Rufen kündigt daraufhin Kawczynski an, man werde morgen wiederkommen, um doch noch mit dem Landesvater zu sprechen.
Bettina Markmeyer
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