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SISYPHOS IN DER POST-INDUSTRIE

■ R.A.M.M. spielt „Akte“

Im Herbst zogen das R.A.M.M.-Theater und das Zentrale Aufklärungstheater ZATA in das kleine Fabrikgelände in der Fidicinstraße, um endlich unabhängig von Nachbarn und den Launen von Veranstaltern proben und aufführen zu können. Der Ort wird auch anderen Ensembles zur Verfügung gestellt wie den Magnetischen Felder oder den Berlin Playactors. Man trifft sich, gibt ein gemeinsames Programm heraus und zieht vom zentralen Ort auch schon mal zu Demonstrationen und Aktionen aus. Der Versuch, für diese Anstrengung öffentliche Unterstützung zu erhalten, ließ R.A.M.M. Einblicke in das Wesen der Bürokratie genießen. „Akte“ spielt „nach dem Bürokratensumpf, in den wir durch die Eröffnung des Theater geraten sind“.

In Planung war „Akte“ schon vor dem Einzug, jetzt ist die Abrechnung mit dem Behördenapparat auf der Bühne. Nachvollziehen kann die jeder, der einmal vom Amtsgericht Charlottenburg tadelnde Post zu den Absichten erhalten hat, einen Verein zur Erquickung kulturbegeisterter Menschen zu gründen. Wer sich dann noch mit verschiedenen Ämtern und Vereinen beispielsweise um die Nutzung öffentlicher Gebäude gebalgt hat, wird eh nicht mehr an die Machbarkeit von scheinbar simplen Dingen glauben.

Daß das R.A.M.M.-Theater aus der Inszenierung der Sisyphostätigkeit des modernen Menschen, mit einem Anliegen vor eine anonyme Instanz anzutreten, keine kabarettistische Anekdotensammlung machen würde, war von vornherein klar. Der Gang von Pontius zu Pilatus und wieder zurück (ähnlich wie dem des K. zum „Schloß“) wird mit dem R.A.M.M.-eigenen dunklen Pathos zu einem nicht enden wollenden Alptraum. Den drei Gesellen, die erwartungsvoll scharrend im trübsinnigen Neonlicht vorn neben den rechtwinklig angeordneten Zuschauerbänken auf ihren Aufruf warten, sind genügend Schwellen auf den Weg zur obersten Instanz gelegt worden. Das Ziel der Sehnsüchte, die Bürovorsteherin, hängt an einem Schreibtisch unter der Decke, wo sie viel Staub aus alten Telefonbüchern aufwirbelt. Der Weg führt die Menschenkinder im Zickzack in die scheinbar unendlichen Weiten der schwarzgestrichenen Halle'in denen eine funkensprühende Flex Daten verarbeitet. Es geht durch eine Tür, von einem Henker den Zuschauern vor die Nase gedreht, eine Lore abwärts rotes Licht flammt - auf, vorbei an einem blitzenden Kopierer. Unverrichteter Dinge kommen die drei im Gänsemarsch aus dem Herzen der Bestie zurück, nur um zu einem neuen Anlauf zu starten. Opportunismus und die Bereitschaft, das Letzte zu geben, machen sich breit, bis sich einer mit entblößtem Hintern am Flaschenzug hochhangelt. Als alles nichts fruchtet, regt sich Widerspruchsgeist, die Würde muß doch wiederherstellbar sein! Heraus kommt: einer klettert aufs Gerüst und versucht ein schwaches Attentat mit einem bißchen Feuer. Es versteht sich von selbst, daß der Schreibtisch nicht Feuer fängt.

Im Hintergrund türmen sich unter einem Regal mit Telefonbüchern ein Sampelkeyboard, ein riesiges Mischpult, Equilizer, Mikrofone, Bänder und ein elektronisches Schlagzeug. Hier werden die Klänge, Rhythmen und Geräusche vom Band gezogen und wieder zusammengesetzt. Der bedrohlich pulsierende Sound ließe sich wohl nicht steigern, ohne den Kollaps des Stückes herbeizuführen. Dabei steht sein Tempo in krassem Gegensatz zu der Langsakeit, mit der in den Behördenmühlen die Prozesse vor sich gehen. Im Takt und gegen den Takt flackern an verschiedenen Wänden Filme auf und erleidet ein Fernseher Kurzschlüsse.

Viel Aufwand - um was? Welchen Inhalts die Anliegen der bittstellenden Menschen sind, bleibt verborgen. Gespräche finden nicht statt. Die einzigen Worte findet die schicke Frau, die an der Seite thront. Mit sonorer Stimme verliest sie Werbetexte des Kabelmeisters Post, Lobreden auf Deutschland, lexikalische Bestimmungen von „sozialer Würde“, spricht Computerkauderwelsch wie Nachrichten und preist schließlich den Hit der letzten IAA Frankfurt an: Das Büro als Auto - „das maßgeschneiderte Auto für Manager“. Was bei den ersten Einsprengseln noch keinen Sinn machte, tritt im Laufe der Stücke immer deutlicher hervor: Sprache hat die Aufgabe, die machterhaltende Funktion des Behördenapparates zu verschleiern (und damit zu festigen) und die Menschen sich sogar nach noch mehr Bürokratie sehnen zu lassen.

„Akte“ hat, ebenso wenig wie „Das Schloß“, einen Schluß aber daß R.A.M.M. an den auch in Off-Theatern zu Tode durchgekauten Kafka gedacht haben sollen, sei mal nicht unterstellt. Starke Bilder bleiben und der Eindruck, das Wesen der Bürokratie durchschaut zu haben. Wilde Entschlüsse, sich über jeden Papierkrieg einfach hinwegzusetzen, könnten reifen.

Claudia Wahjudi

R.A.M.M. spielt „Akte“ im R.A.M.M./ZATA, am 13. und vom 25. bis 27. Januar in der Fidicinstraße 40, 1-61, jeweils um 20.30 Uhr.

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