Im Herbst geht's los

■ Die EG-Fusionskontrolle tritt mit dem 21.September 1990 in Kraft / Nixdorf/Siemens wäre bereits ein Fall für Brüssel

Teil 39: Dietmar Bartz

Für das Bundeskartellamt ist die Übernahme Nixdorfs durch Siemens vielleicht der letzte Fall einer Großfusion, den die Behörde noch nach altem Recht und alter Zuständigkeit prüfen darf. Ab Herbst liegt die Zuständigkeit für die Anmeldung bei der EG-Kommission in Brüssel, nachdem sich die zwölf Fachminister am 21.Dezember letzten Jahres doch noch auf eine einheitliche Kontrolle von Großfusionen im Binnenmarkt haben einigen können. Die entsprechende Verordnung tritt nach neun Monaten, mithin am 21.September, in Kraft.

Schon spekulieren Euro-Beamte, vor allem aber sensationshungrige französische Nachrichtenagenturen, daß das ungeliebte Amt in West-Berlin die Gelegenheit nutzen könnte, der EG noch einmal zu zeigen, was eine wettbewerbspolitische Harke ist. Einige formale Voraussetzungen dafür sind gegeben: Die Kommission, genauer, die für den Wettbewerb zuständige Generaldirektion IV, hat bereits angekündigt, daß sie die Fusion probehalber checken werde. Obwohl die Vereinbarung erst im Herbst in Kraft tritt, gebe sie ihr „einen Rahmen, um solche Fälle zu prüfen“, sagte ein Sprecher in Brüssel dazu. Erfahrung mit den Märkten hat sie wenigstens ein bißchen: durch ein Verfahren gegen IBM wegen mutmaßliche Mißbrauchs von Schnittstellentechnologien und eines auf dem Gebiet der Telekommunikation. Bislang konnte die Kommission nach dem EWG-Vertrag wegen Verdachts auf Mißbrauch und auf Kartellbildung tätig werden.

Zuständig ist die Kommission inskünftig bei Größenordnungen wie Nixmens allemal. Siemens setzte im letzten Geschäftsjahr, das am 30.September ablief, rund 61,2 Milliarden DM um, Nixdorf bringt es auf rund 5,5 Milliarden DM. Zusammengerechnet reicht das satt für das Tätigwerden Brüssels: Nötig wären nur fünf Milliarden ECU, also rund 10 Milliarden DM weltweiter Gesamtumsatz aller an der Fusion beteiligten Unternehmen.

Die zweite Aufgreifschwelle ist ebenfalls überschritten: Danach muß der EG-Umsatz von mindestens zwei der Unternehmen, die an einem Zusammenschluß beteiligt sind, jeweils mehr als 250 Millionen ECU, also eine halbe Milliarde DM, betragen. Wahrscheinlich gerät auch eine andere Bestimmung durch Nichterfüllung in Wegfall, nach der das Bundeskartellamt zuständig bliebe: wenn beide Unternehmen mehr als zwei Drittel ihres EG-Umsatzes im Heimatland machen würden, eine Fusion also ganz überwiegend von nationaler Bedeutung wäre. Hierzu sind zwar noch keine aktuellen Zahlen veröffentlicht worden, dennoch steht zu erwarten, daß die Konzerne aus München und Paderborn mehr als ein Drittel ihres EG-Umsatzes außerhalb der BRD machen.

Nun - ein ordentlicher Krach steht wohl kaum ins Haus. Zu sehr unterscheiden sich die Produkte der beiden Konzerne, ist sich die Fachpresse einig, als daß eine generelle Marktbeherrschung ausgemacht werden könne. Nicht einmal das Bundeskartellamt wird die Fusion vermutlich untersagen. Allenfalls für das Geschäft mit digitalen Telefon -Nebenstellenanlagen, in dem Siemens Marktführer ist und Nixdorf immerhin einen Anteil von 23 Prozent erreicht hat, könnten Auflagen erteilt werden.

Doch zum einen handelt sich dabei nur um ein Volumen von 200 Millionen Mark - den kann die geplante „Siemens Nixdorf Informationssysteme AG“ mit einem Gesamtumsatz von rund 12 Milliarden DM leicht wegstecken. Zum anderen rechnete der Cecchini-Bericht schon im vorletzten Jahr damit, daß von den bisher sieben verschiedenen digitalen Schaltsystemen im Binnenmarkt doch nur zwei überleben werden. Die Hersteller dürften dann Siemens und der französische Konzern Alcatel sein.

Interessant ist allerdings, daß, wenn Brüssel jetzt schon entscheiden dürfte, mit dem Fall Siemens/Nixdorf gleich eine Art Vorbehaltsklausel greifen könnte, deren Einbau in die EG -Fusionskontrolle die bundesdeutsche Verhandlungsdelegation noch hat durchsetzen können: die der nationalen Restkompetenz. Sie bedeutet, daß eine nationale Prüfbehörde, in diesem Fall das Bundeskartellamt, bei der Kommission darauf aufmerksam macht, daß der Wettbewerb im nationalen (Teil-)Markt gefährdet sein könnte. Ist die Kommission nicht dieser Ansicht, die nationale Behörde aber doch, muß der Fall vor dem Europäischen Gerichtshof ausgetragen werden.

Allerdings wäre ein Konflikt zwischen dem Bundeskartellamt und den Kontrolleuren der Generaldirektion IV - ein eigenes EG-Amt wird erst vage geplant - mehr als nur ein Streit um die unterschiedliche Auslegung gleicher Vorschriften. Denn die Regeln der EG-Fusionskontrolle unterscheiden sich auch noch nach einjährigem harten Streit unter den Fachministern und mit der EG-Kommission erheblich von denen des bundesdeutschen Kartellgesetzes. Die Bundesregierung, anerkanntermaßen mit den weitreichendsten behördlichen Kompetenzen im Rücken, hatte immer wieder und bis zuletzt vergeblich versucht, als einziges Kriterium für das Verbot einer Fusion die Marktbeherrschung durchzusetzen.

Gelungen ist das den Marktwirten unter der Leitung von Bundeswirtschaftsminister Haussmann nicht. So enthalten die Brüsseler Prüfungskriterien auch die „Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts“, der eine Fusion auch dann erlaubt, wenn sie eine Marktbeherrschung verursacht oder verstärkt. Im Klartext: Wollen zwei große EG -Konzerne fusionieren, um damit die Betriebsgrößen japanischer oder US-amerikanischer Unternehmen zu erreichen und solcherart mehr Wissen und Wohlstand in die EG oder eine ihrer Regionen bringen, können sie mit grünem Licht aus Brüssel rechnen.

Diese Industriepolitik, in vielen Mitgliedsländern der EG eine Tradition, ist für die Bundesregierung und vor allem das Bundeskartellamt natürlich ein marktwirtschaftlicher Sündenfall allererster Güte. Insbesondere Staatskonzerne oder Verbindungen zwischen staatlichen und privaten Unternehmen sind in Süd-, aber auch in Westeuropa oft Mittel der Arbeitsmarkt- oder Regionalpolitik. Das hat durchaus seine Vorteile, weil Regierungen dadurch recht weitgehenden Einfluß auf Veränderungen in Gegenden nehmen können, die von Strukturveränderungen besonders betroffen sind. Überaus unangenehm ist aber der Umstand, daß das Verhängen von Auflagen und Genehmigungen selten aus uneigennützigen Motiven heraus geschieht, Politiker von der Kapitalseite durchaus über den Tisch gezogen werden können und vor allem das Konzerneschmieden der Minister zuweilen kaum mehr ist als der letzte - und untaugliche - Aufstand nationaler Politik gegen den Legitimationsverlust, den ihr das international agierende Kapital beibringt. So wird derzeit die französische staatliche Chemieindustrie umstrukturiert (siehe Kasten), und als nächstes sollen alle drei französischen Fluglinien unter ein Dach gebracht werden. Dabei existiert nur in Frankreich, Großbritannien und der BRD eine eigentliche Fusionskontrollgesetzgebung.

Besonders hübsch ist in diesem Zusammenhang eine Formulierung, die die nationale oder EG-Industriepolitik bei der Beurteilung einer Fusion begrenzen soll: Der technische und wirtschaftliche Fortschritt, heißt es da, solle zur Erlaubnis einer Fusion führen, „sofern sie dem Verbraucher dient und den Wettbewerb nicht behindert“. Der Nachweis dürfte Unternehmen und gar Regierungen nicht sonderlich schwerfallen, daß ein Fortschritt selbstverständlich immer der Kundschaft dient. Eine „Behinderung“ des Wettbewerbs ist schlichte Auslegungssache.

„Legitime Interessen“ der Mitgliedsstaaten gibt es natürlich auch, in denen die nationalen Regierungen sich nicht um ein Votum Brüssels zu kümmern brauchen. Dazu gehören die öffentliche Sicherheit (gemeint ist die Rüstungsindustrie), die Medienvielfalt und die Aufsichtsregeln für Banken und Versicherungen. Letzteres bedeutet, daß Banken durchaus Konkurrenz-Unternehmen aufkaufen dürfen, wenn sie sie, etwa über die Börse, wieder losschlagen wollen. Zusätzliche andere öffentliche Interessen müssen bei der Kommission angemeldet werden, die dann prüft, ob sie gerechtfertigt sind. Ob Minister Haussmann, der daheim den Kauf von MBB durch Daimler genehmigte und in Brüssel gegen Marktbeherrschungen wettert, sich auf die öffentliche Sicherheit oder öffentliche Interessen berufen hätte, muß dahingestellt bleiben.

Welche Arbeit kommt nun auf die Fusionskontrolleure in Brüssel zu? Aktuelle EG-weite Statistiken gibt es nicht. Die Generaldirektion Wettbewerb hat allerdings Zusammenschlüsse in den zwölf Ländern zwischen dem Sommer '87 und dem Sommer '88 untersucht und ist auf folgende Summen gekommen: Innerhalb dieses Jahres hatten 342 Fusionen in der EG einen Gesamtumsatz von mehr als einer Milliarde Ecu, 240 hatten mehr als zwei Milliarden, 140 mehr als fünf Milliarden und noch 73 mehr als zehn Milliarden Ecu. Abzuziehen wären nun vor allem die Fusionen mit rein nationaler Bedeutung. EG -interne Schätzungen gehen bei der Aufgreifschwelle von 5 Milliarden Ecu von rund 60 Fällen pro Jahr aus.

In vier Jahren steigt der Arbeitsanfall vermutlich noch einmal etwas. 1994 soll eine Senkung der Aufgreifschwelle auf 2 Milliarden Ecu diskutiert und mehrheitlich abgestimmt werden. Die EG-Kommission ist bereits jetzt für diese Ausweitung ihrer Kompetenz. Bleibt das Konzentrationstempo ungefähr gleich, liefe dies auf geschätzte 90 Fälle pro Jahr hinaus. Allerdings hat diese Geschwindigkeit erheblich zugenommen: Dem Bundeskartellamt etwa wurden 1987 erst 887 Fusionsfälle angezeigt, 1988 waren es schon 1.159, und 1989 wurden mehr als 1.300 Fälle gemeldet.

Eine - wenn auch staubtrockene - Zusammenfassung der Diskussion bis zum letzten Frühjahr bietet das 17. Sondergutachten der Monopolkommission, „Konzeption einer europäischen Fusionskontrolle“, das bei der Nomos -Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, erschienen ist (112 Seiten,

35 DM).