Grüner Knatsch statt Geburtstagsfeier

10 Jahre Grüne: Der Vorstand streitet sich vor der Presse / Geburtstagsstimmung perdu, das Wort hat der Normalzustand / Die Grüne „Wiedervereinigungsinitiative“ mischt auch noch mit  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Geplant war alles ganz anders: Die Grünen wollten sich feiern - vor zahlreich angetretener Presse im überfüllten Saal. Zehn Jahre alt wird „das erfolgreichste politische Projekt der Nachkriegszeit“, klopfte Vorstandssprecher Ralf Fücks seiner Partei auf die Schulter. Die Partei habe das Denken und die Politik in der Bundesrepublik verändert, habe neue Fragen wie die Ökologie inzwischen ins Zentrum politischen Handelns gebracht. Auch die Vorgänge in Osteuropa bestärkten alles, wofür die Grünen angetreten seien. Nun stehe man vor der Aufgabe, die grünen Ziele auch mit neuen Mehrheiten durchzusetzen, wies Fücks den Weg in die Zukunft. Den Strömungsstreit der Grünen streifte er mit neckischen Worten: Die Parteifreunde „plantschen gerne in der Badewanne“ und „tauchen“ einander unter.

Wie schnell da die Wellen hoch gehen und die Fetzen fliegen, zeigte sich unmittelbar darauf. Schluß war mit der Geburtstagsfeier, und unerwartet bestätigte sich, was die Sprecherin des Parteivorstands zuvor scherzhaft-kokettierend zum Image gesagt hatte: Bei uns finden alle ihre Vorurteile bestätigt.

Die linke Vorstandssprecherin Verena Krieger nutzte die Chance zum Rundumschlag, machte eine bitterböse Bilanz auf und stellte infrage, ob die Grünen die nächsten zehn Jahre überhaupt überleben. In den Grünen hätten sich die Realos und der „Aufbruch“ durchgesetzt. Diese seien verantwortlich für die „bleierne Schwere“, die „trostlose Gegenwart“ und die lähmende Agonie, die in der Partei herrsche. Die „Streitkultur“ sei „kaputtgemacht“ worden, und die Partei habe den außerparlamentarischen Bewegungen zugleich die „Spitze abgebrochen“ und sie „domestiziert“, urteilte Krieger.

Fast ein Nachruf. Ihr Auftritt verdeutlichte zugleich, daß sich in der Partei derzeit nur wenige als Parteivertreter verstehen, sondern selbst im Parteivorstand vorrangig als Lobbyist der eigenen Strömung. Ziel erreicht, Geburtstagsstimmung perdu, für Inhalte interessierte sich keiner mehr.

Die Replik im Ehestreit folgt postwendend: Die realpolitische Parteivorsitzende Ruth Hammerbacher, die zuvor über die Notwendigkeit einer Parteireform in Fragen der Rotation sowie der geltenden Trennung von Amt und Mandat gesprochen hatte, fordert Verena Krieger zum Rücktritt auf. „Absurde Aufforderung“, giftet Krieger zurück. Ob sie die Partei verlasse, wolle sie vor allem daran festmachen, ob es beim Programmentwurf für die Bundestagswahl einen „Rechtsruck“ gebe. Diese Programmkommission tagte in dieser Woche drei Tage in Klausur. Teilnehmer berichteten von weitgehenden Differenzen.

Vorständler Fücks, einer der Gründer des „Grünen Aufbruchs“, der Mittelströmung der Partei, versucht zu retten, was zu retten ist: „Aufhören mit dem grünen Masochismus aus dem Parteivorstand, der die Partei demoralisiert“, appelliert er vergeblich. Fücks versucht sich in Konfliktbereinigung: Die Grünen stünden vor einer neuen Phase der Verständigung über politische Schwerpunkte und ihre Durchsetzung; er spricht von einer „Bewährungsprobe“, ob die Partei noch politikfähig sei. Es klingt hilflos.

Seine Versuche, wieder über Themen zu reden, über die Chancen der Grünen mit einer klaren Position für Zweistaatlichkeit und Entmilitarisierung, mißlingen und bleiben stecken. Verena Krieger bezweifelt die Mobilisierungsfähigkeit der Partei; beklagt die Absorption der Kräfte der Mitglieder durch das „Klein-klein in den Regionalparlamenten“.

Dann mischt sich auch noch der Vertreter der zahlenmäßig unbedeutenden Wiedervereinigungsfraktion der Grünen ein, die unmittelbar nach dem Parteivorstand am selben Ort eine eigene Pressekonferenz zu ihrer Position veranstalten wollte. Er protestiert vehement, weil Fücks geäußert hatte, die Grünen seien „weitgehend immun gegen nationale Anwandlungen“ und mehrheitlich für die Weiterexistenz zweier deutscher Staaten. „Unverschämtheit“, schimpft nun auch Fücks zurück und wirft ihnen vor, bewußt den „innerparteilichen Streit zu inszenieren“.

Dann ist eine ungewöhnliche Pressekonferenz zu Ende, und selbst die nach jedem Streit gierenden Pressevertreter schauen sich verlegen an. Draußen vor der Tür poltert ein hochroter Ralf Fücks: „Jetzt reicht's.“ Gestern abend dann feierten die Grünen in Bonn ein Fest - unter dem Motto: „Streit ist im Verein am schönsten“.