: Was kommt nach dem Winterschlaf?
■ Triste Halbzeitbilanz der Ostberliner Fußballvereine: Akuter Geldmangel, vereinsinterner Zwist, politischer Imageverlust und das Überwechseln von Spielern in den Westen verursachen bei Dynamo erhebliche Probleme / Auch Oberliga-Clubs vom Abstieg bedroht
Winterpause am im DDR-Fußball. Aber während ihre West -Kollegen von Hertha BSC und Blau Weiß 90 konzentriert auf den Saison-Endspurt hinarbeiten, plagen sich Ost-Berlins Elitekicker mit existenziellen Sorgen. In der Liga, der zweithöchsten DDR-Spielklasse, kämpfen Rotation, Bergmann -Borsig sowie Kabelwerk Oberspree (KWO) allesamt gegen den Abstieg. Am schlimmsten hat es jedoch ausgerechnet den Renommierclub der Oberliga, Dynamo Berlin, erwischt. Seitdem der Staassicherheitsdienst in seiner alten Form aufgelöst wurde, geht es mit dem zehnfachen DDR-Meister und vormaligen Stasi-Verein rapide bergab. Denn von der einstigen Sponsoren -Troika, die wohlwollend vom Fußballfan und Stasi-Chef Erich Mielke geführt wurde, sind nurmehr das weniger freigiebige Innenministerium sowie die Zollverwaltung übriggeblieben. Schon jetzt bezweifeln Experten, daß die Weinroten vom Prenzlauer Berg, die als Mitfavorit auf die Meisterschaft gestartet waren, ihren derzeitigen vierten Tabellenplatz werden halten können.
Erste Auflösungserscheinungen sind unübersehbar: Torhüter Bodo Rudwaleit hat sich abgemeldet und wird wohl beim Konkurrenten Stahl Eisenhüttenstadt anheuern; Marco Köller, vielgepriesenes Nachwuchstalent in der Verteidigung, hat in den Westen rübergemacht und hofft auf einen Profivertrag beim Bundesligisten Bayer Uerdingen; unter das großkapitalistische Bayer-Kreuz zog es auch Dynamo-Sturmas Andreas Thom, der nun in Leverkusen der Pille hinterherjagt. Um den Totalausverkauf des DDR-Meister von 1977 bis 1987 zu verhindern, stornierte Dynamo-Vorsitzender Herbert Krafft den schon jetzt perfekten Transfer von Thoms Mitstürmer Rainer Ernst zu Borussia Dortmund: „Erst wenn Rainer Ernsts sportliche Leistung ausreichend ist, kann es zu Transferverhandlungen kommen“, begründete Krafft in der 'Berliner Zeitung‘ diesen überraschenden Schritt. Doch eine sich weiter verschärfende Finanzlage des 2.000 Mitglieder zählenden Clubs würde solche Bedenken sicherlich vom Tisch fegen...
Wie wohl kaum ein anderer Verein in seinem Land muß sich Dynamo nach neuen Einnahmequellen umsehen. Mit einer Erhöhung der Vereinsbeiträge von monatlich 2,10 Ost-Mark (!) dürfte es nicht getan sein, will man das drohende sportliche Aus vermeiden. Deshalb haben Krafft und Dynamo-Manager Jürgen Bogs bereits intensiven Kontakt zu Werder Bremens Manager Willi Lemke aufgenommen. Bei Lemke, einem ehemaligen APO-Linken und Jungsozialisten, wollen Krafft und Bogs mehr erfahren über die ihnen noch unbekannte Welt des profitablen Sportmarketings.
Gleichwohl könnte es geschehen, daß dem ungeliebten Serienmeister der sportliche Garaus gemacht wird. Ähnlich wie in Rumänien, wo der „Securitate„-Sportverein Dinamo Bukarest aufgelöst und wieder in „Unirea tricolor“ umbenannt wurde, trägt man sich in der DDR-Sportführung mit dem Gedanken, den BFC Dynamo aufzulösen. Die freigesetzten Akteure des seiner politischen Legitimation verlustig gegangenen Vereins sollen zu anderen Clubs transferiert werden. Als Alternative wird in Betracht gezogen, die beiden besten Ostberliner-Vereine, Dynamo und Union, zu fusionieren. Beim 1. FC Union aus der Wulheide, dem kleinen wesensfremden Ortsrivalen mit Hang zu Hertha BSC, kann dies nur großes Erstaunen auslösen. Der bisherige Tabellenzweite der Liga und Oberliga-Anwärter präsentiert sich gegenwärtig in Bestform. Nur knapp hinter Spitzenreiter Vorwärts Frankfurt gelegen, besitzen die Unioner gute Aussichten auf den erneuten Wiederaufstieg, zumal der hartnäckige Verfolger KKW Greifswald seinen erfolgreichsten Stürmer an Blau Weiß 90 verloren hat. Für eine erfolgreiche Jagd auf die führenden Frankfurter möchte auch ein Westberliner Unternehmen sorgen, dessen Werbung seit kurzem auf den Union -Trikots prangt. „Rohr-frei“ heißt fortan das Motto der Berliner Traditionself - für genügend Zündstoff im Duell mit den Volksarmisten vom FC Vorwärts ist also gesorgt.
Jürgen Schulz
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