: Mit Volldampf in die Marktwirtschaft
■ Auch ausländische Mehrheitsbeteiligung bei künftigen Joint-ventures möglich / Freier Gewinntransfer und keine Planauflagen
Ost-Berlin (dpa/taz) - Die DDR will mit einem radikalen Kurswechsel ihrer Wirtschaftspolitik marktwirtschaftliche Prinzipien einführen, ausländische Mehrheitsbeteiligungen in größerem Umfang zulassen und unwirtschaftliche Kombinate zugunsten von mehr Wettbewerb entflechten. DDR -Wirtschaftsministerin Christa Luft kündigte auf der ersten deutsch-deutschen Wirtschaftskonferenz hochrangiger Experten, Konzernchefs und Minister am Samstag in Ost-Berlin ferner an, daß der Investor Gewinn und Liquidationserlöse ins Ausland transferieren kann und sein Eigentum vor Enteignung geschützt wird. Das werde mit einer Verordnung sichergestellt. Am Freitag hatte die DDR-Volkskammer eine Verfassungsänderung beschlossen, um Joint-ventures zu ermöglichen.
Die Ministerin unterstrich auf der Konferenz ausdrücklich die Absicht, daß bei für die DDR-Wirtschaft besonders wichtigen Gemeinschaftsunternehmen auch eine über 50 Prozent liegende Kapitalbeteiligung möglich sein soll. Nach dem Entwurf der neuen Verordnung, den die DDR-Regierung am 25.Januar absegnen soll, kann der ausländische Anteil dann über 49 Prozent liegen, wenn der Zweck des Vorhabens im „volkswirtschaftlichen Interesse“ der DDR sei. Das ganze ist in dem Entwurf zwar als „Ausnahme“ konzipiert.
Teilnehmer der zweitägigen, am Sonntag beendeten Beratungen gehen aber von einer flexiblen Handhabung aus. Gemeinschaftsunternehmen, die als GmbH, als Kommanditgesellschaft, als Aktiengesellschaft oder als offene Handelsgesellschaft gegründet werden können, erhalten das Recht auf freien Gewinntransfer, auf eigenständige Investitionsentscheidungen und auf eine möglicherweise durch staatlich festgesetzte Höchstpreise eingeschränkte freie Preisbildung.
Planauflagen für Joint-ventures wird es keine geben. Ein entsprechendes Gesetz soll erst nach den Wahlen am 6.Mai verabschiedet werden. Die neue Verordnung erlaubt jedoch, schon vorher deutsch-deutsche Gemeinschaftsunternehmen zu realisieren.
Wirtschaftsministerin Luft kündigte zudem die Entflechtung unwirtschaftlicher Kombinate, ein Konkursrecht und die Neuordnung des Bankensystems an. Auch die volle Konvertierbarkeit der DDR-Währung sei langfristig geplant. Wirtschaftsexperten rechnen mit einer Fülle von Anträgen für Ausnahmeprojekte, in denen Westkapital die Mehrheit haben soll. Teilnehmer der Tagung äußerten ihre Erwartung, daß mittelfristig die Ausnahme zur Regel wird und nach den Wahlen am 6.Mai der 49-Prozent-Rahmen für ausländische Beteiligungen ohnehin geändert wird. Die Ausnahmefälle für Mehrheitsbeteiligungen sollen nach den Worten von Frau Luft für kleine und mittlere Betriebe gelten.
Luft erläuterte, daß es bei der verstärkten Zusammenarbeit auch um Lizenz- und Gestattungsproduktion, Leasing-Projekte sowie gemeinsame Vermarktungsstrategien gehe. Vielfach werde von DDR-Bürgern die Übernahme von Kombinaten durch westliches Kapital und danach drohende Entlassungen befürchtet. Diese Sorgen seien unbegründet. Übernahme von Großunternehmen sind aus ihrer Sicht nicht möglich. Eine Entflechtung unrentabler Kombinate soll nach den Worten der Ministerin die Klein- und Mittelbetriebe sowie den Wettbewerb insgesamt stärken.
Das Echo der knapp 70 bundesdeutschen Teilnehmer zur angekündigten Wirtschaftsreform war überwiegend positiv. Für den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) ist sie ein Schritt in die richtige Richtung, geht aber noch nicht weit genug. Der Chef der Dresdner Bank, Wolfgang Röller, empfiehlt, die D-Mark als Parallelwährung zur DDR-Mark zuzulassen, um dann bald die D-Mark als offizielle gemeinsame Währung einzuführen.
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