piwik no script img

Die Aseris bringen Teheran in die Klemme

Die Islamische Republik denkt nicht an eine Wiedervereinigung Aserbaidschans / Eine Öffnung der Grenze könnte Armenier in der Sowjetunion und dem Iran zu ähnlichen Forderungen animieren / Neue Probleme für Rafsandschani nach dem Ceausescu-Besuch  ■  Von Robert Sylvester

Berlin (taz) - Die jüngste Entwicklung in der Sowjetrepublik Aserbaidschan hat die Führung der Islamischen Republik vor eine unangenehme Überraschung gestellt. Die Aseris jenseits der iranischen Grenze, die früher von dort religiös agitiert worden waren, richten ihre Forderungen nicht länger nur an Moskau, sondern auch an die Teheraner Führung. An eine „Wiedervereinigung“ Aserbaidschans mit dem Iran wird dort jedoch ebensowenig gedacht wie in Kreisen der iranischen Exil-Opposition.

Als Reaktion auf die Demonstrationen jenseits des Aras -Flusses vor einer Woche und die Forderung nach Öffnung der Grenze wurde flugs eine Delegation nach Moskau entsandt. Dort wurde letzte Woche ein Abkommen über engere Beziehungen zwischen beiden Teilen Aerbaidschans unterzeichnet. Am Samstag traf Außenminister Ali Akbar Velayati in Täbirs, der Hauptstadt des iranischen Aserbaidschan, ein, um die Organisation von Touristenreisen zwischen Iran und der Sowjetunion vorzubereiten.

Die 50 Millionen Moslems in den sowjetischen Südrepubliken waren nach dem Sturz des Schah-Regimes im Jahre 1979 stets ein Ziel der Teheraner Führung für ihren Revolutionsexport, aber auch ein Gradmesser für den Stand der Beziehungen zwischen Iran und der UdSSR. Der iranische Präsident Ali Akbar Rafsandschani rief im Juni 1989 während einer Reise nach Baku, der Hauptstadt des sowjetischen Aserbaidschans, die Aseris auf, Gorbatschows Perestroika zu unterstützen. Dies war ein Zeichen des guten Willens im Rahmen der Bemühungen des Iran, seine internationale Isolierung aufzubrechen und der UdSSR Hilfe für den Wiederaufbau des Landes nach dem Waffenstillstand im Golfkrieg zu gewähren.

Die beiden sowjetischen Provinzen Aserbaidschans, Aran und Shrivan, waren in zwei Verträgen zwischen der Quadschajen -Dynastie und dem zaristischen Rußland in den Jahren 1818 und 1830 an das Russische Reich gefallen. Die von der Sowjetunion unterstützte Demokratische Republik Aserbaidschan zu Zeiten Stalins brach 1945 bereits nach einem Jahr zusammen, als Iran der UdSSR eine Konzession zur Ausbeutung der Ölfelder des Kaspischen Meeres versprach.

Nach dem jüngsten Krach über den Besuch des gestürzten rumänischen Diktators Ceausescu hat die unvermutete Entwicklung in Aserbaidschan Rafsandschani ein weiteres Problem beschert. Seine innenpolitischen Rivalen, angeführt vom ehemaligen Innenminister Mohtaschemi, wollen die Außenpolitik des Präsidenten unterminieren, die auf eine Öffnung zum Westen als Voraussetzung für den Wiederaufbau setzt. Unmittelbar nach dem Sturz Ceausescus warfen 45 Abgeordnete der Hardliner-Fraktion Rafsandschani eine verfehlte Außenpolitik vor, der seinerseits den Schwarzen Peter an den Chomeini-Nachfolger Ali Chamenei weiterreichte. Außenminister Velayati mußte sich einer Befragung durch das Parlament unterziehen und machte hinwiederum den iranischen Botschafter in Bukarest als den Schuldigen aus, der daraufhin abberufen wurde.

Sollte der Druck der Aseris jenseits der Grenze auf Iran anhalten, würde dies nicht nur neue Probleme für Rafsandschani bedeuten. Ein Konflikt zwischen dem Teheraner Regime und Aserbaidschan ist nicht von der Hand zu weisen, denn die iranische Provinz galt immer als ein „kritischer Punkt“. Der religiöse Führer Aserbaidschans, Ayatollah Shariatmadari, wurde von Chomeini unter Hausarrest gestellt, wo er 1985 starb. Selbst wenn es Rafsandschani gelingt, mit Gorbatschows Hilfe diese Probleme zu meistern, steht der nächste Konflikt bereits an: Die Auseinandersetzungen zwischen Aseris und Armeniern im Süden der Sowjetunion. Im Iran leben etwa eine halbe Million Armenier, vor allem in Isfahan und Azarbijan, die vor der stalinistischen Unterdrückung geflohen sind. Im Falle einer Öffnung der Grenze zwischen beiden Teilen Aserbaidschans ist damit zu rechnen, daß auch sie ihre Verwandten im Nachbarland besuchen möchten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen