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Den Kaiser endlich nackt zeichnen

■ Karikaturen aus dem „Krokodil„/UdSSR in Hannover

Der Kaiser steht ohne Kleider vor dem Volk. In Sprechblasen steht über den Menschen: „Der ist ja nackt.“ Derart respektlose Karikaturen gibt es in der UdSSR erst, seit Michail Gorbatschow 1985 die Wende einleitete. Seither werden auch die Zeichner der größten sowjetischen Satirezeitschrift „Krokodil“ frecher. Eine breite Auswahl ihrer Arbeiten ist seit Sonntag erstmals in der Bundesrepublik zu sehen, im Wilhelm-Busch-Museum in Hannover. (bis 1.3.)

Als ratlose Könige finden sich die alten und neuen Mächtigen gleich in mehreren Zeichnungen wieder. Häufige Motive sind auch gestürzte Denkmäler. Noch aber fürchten die 44 in „Glasnost + Perstroika“ ausgestellten Zeichner um die neugewonnene Freiheit. Viele der 70 überwiegend politischen Karikaturen drücken die Angst vor dem Scheitern der neuen Politik aus. „Sind wir mit der Demokratisierung zu weit gegangen?“ fragt der endlich „nackt“ genannte Kaiser seinen Minister. Und auf einem Denkmalsockel schaukelt als unverwüstliches Stehaufmännchen ein Apparatschik.

Die Bürokratie ist das große Thema im „Krokodil“: Paragraphen als Geheimzeichen am Revers düsterer Gesellen oder als Galgen. Neu in der 1922 gegrün

deten Zeitschrift, die in einer Auflage von fünf Millionen Exemplaren erscheint, sind düstere Bilder einer zerstörten Umwelt. Und auch „Stalins Pfeife“, die Totenköpfe über das gesamte Land qualmt, kann erst seit kurzer Zeit veröffentlicht werden. Sogar die Verbündeten der UdSSR bleiben nicht ungeschoren: Aus der freundlich ausgestreckten Hand eines Militärs in der Uniform Kubas läßt ein Zeichner den Daumen als Schlange wachsen.

Die „Krokodil„-Karikaturen beeindruckten durch ihre Inhalte. Zeichnerisch überzeugen nicht alle Blätter. Zwei Zeichnungen, die mit einem Teil der Ausstellung bereits in Amsterdam zu sehen waren, fielen in Hannover sogar durch. Busch-Direktor Herwig Guratzsch reiste eigens nach Moskau, um in der „Krokodil„-Redaktion noch 26 neuere Zeichnungen auszuwählen.

Zeitgleich zu „Glasnost + Perestroika“ werden 90 Zeichnungen des Berliners Bernd Pohlenz präsentiert. Der 33jährige Autodidakt spitzt seine Feder mit Vorliebe gegen die selbstverliebte Zeitgeist-Generation. Seine technisch ausgezeichneten und im besten Sinne witzigen Karikaturen bieten einen reizvollen Kontrast zu den mutigen und besorgten Zeichnungen aus der Sowjetunion.

Romanus Otte

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