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VVN vor dem Zusammenbruch

■ Antifaschistische Traditionalisten und Neuerer bekämpfen sich bis auf's Messer

Orientierungslosigkeit, Spott, Häme bis zum Haß: Der Zustand des Landesverbandes der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/ Bund der Antifaschisten ist inzwischen auf dem Siedepunkt. Während der 82jährige Vorsitzende und Bundesverdienstkreuzträger Willy Hundertmark öffentlich ätzend über den bisherigen Landessekretär Volker Homburg herfällt, indem er ihm spöttisch attestiert, daß der 40jährige Homburg nicht einmal sein Studium beendet habe, und es Homburg lediglich um mehr Geld gehe, gibt dieser sich nachdenklich und besorgt um die zukünftige antifaschistische Arbeit. Doch der Konflikt in der VVN läßt sich nicht auf die Personen des Vorsitzenden und seines Sekretärs beschränken. Der 10köpfige Vorstand ist in zwei etwa gleich große Lager gespalten und nicht mehr in der Lage zu einem konstruktiven Dialog.

Auslöser für den Test auf antifaschistische Streitkultur ist die Pleite der Bundesorganisation. Die hatte entgegen aller öffentlichen Bekundungen via DKP am SED-Tropf gehangen. Die 3.120

Mark, die monatlich vor allem für das Gehalt des Sekretärs Homburg nach Bremen geflossen waren, wurden ausgesetzt, Homburg zum 31.3.1990 gekündigt. Unter dem Vorwand fehlender Finanzen wird seitdem anscheinend um Homburgs Posten, vor allem aber um die künftige Politik gerangelt. So verschickte Hundertmark zusammen mit seiner Stellvertreterin Irmgard Alfken einen Brief an alle „lieben Kameradinnen und Kameraden“, in dem die beiden das Motto „Augen zu und durch“ ausgeben. „Angesichts der politischen Veränderungen, die im zurückliegenden Jahr vor sich gegangen sind, sind wir besonders auf Menschen angewiesen, die nicht aufgeben wollen“, heißt es da. Ansonsten finden die Traditionalisten kein Wort zur Finanzierung der VVN durch die SED und zu den Veränderungen in der DDR, sondern kaum mehr als die Parole „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“

„Die Umwälzungen in Europa haben deutlich gemacht, daß eine grundsätzliche Überprüfung des antifaschistischen Selbstver

ständnisses generell notwendig ist“, antworteten darauf vier Vorstandskollegen, darunter Homburg. Der Brief von Hundertmark und Alfken sei ein Schritt zur Ausgrenzung von Kritikern und ein Verschleiern des wirklichen Zustandes der VVN.

„Wir reden nur noch über Kiki und ordnungsgemäßen Ablauf meiner Entlassung. Eine inhaltliche Diskussion findet nicht statt“, beklagt Homburg, dem in seinen Papieren aber auch nicht mehr einfällt, als so ganz grundsätzlich Offenheit, Transparenz und Selbstkritik einzufordern. Homburg selbst, der bis in den Dezember hinein selbst Mitglied der DKP war, attestiert sich jetzt in Sachen Abhängigkeit von der DKP/SED, „schon länger Fragen gehabt zu haben.“ Diese Fragen habe er auch gestellt. „Die sind dann aber als Fragen des Klassengegners abgebügelt worden.“ Aus Achtung vor den „Alten und Verfolgten“ habe er dann nicht weiter insistiert. „Da mach ich mir auch Selbstvorwürfe. Es ist vielleicht die Tragik, das wir das hinten angestellt haben.“

hbk

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