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Antje Vollmers Kommentar-betr.: "Die Träume der alten Männer", taz vom 6.1.90

betr.: „Die Träume der alten Männer“, taz vom 6.1.90

Ich finde es unerhört, daß Antje Vollmer einen Mann wie Rudolf Germanicus Augstein, der 40 Jahre und mehr den Deutschen den SPIEGEL ihrer Sünden vorgehalten hat, nun um die in so lockender Nähe hängenden Früchte seiner jahrmontäglichen Schweißarbeit, nämlich DEUTSCHLAND, bringen will - DEUTSCHLAND großgeschrieben wie SPIEGEL.

Hat Antje Vollmer, die Hüterin der deutschen Seele, denn überhaupt kein Mitgefühl mit diesem jetzt so heftig in den deutschen Tiefen ringenden Helden? Ich meine, Rudolf Germanicus Augstein, der ja schließlich auch einmal zu Hitlers letztem Aufgebot gehört hat - oder war es das vorletzte? - und dem nun in diesen so messianisch aufgewühlten Zeiten - siehe sein Gorbatschow-Kommentar in 'Spiegel'Nr. 1 dieses Jahres - das Wasser im Munde und unter den Achselhöhlen zusammenläuft, also dieser Rudi hat ein Recht und einen heiligen Anspruch darauf, die deutsche Fahne eigenhändig am nicht mehr allzu fernen Tag X am Brandenburger Tor aufzuziehen. Und wehe dem Juden Eli Wiesel, der ihm dabei ein Erinnerungsknüppelchen zwischen die Beine zu werfen wagt! Wenn Wiesel nicht schleunigst seine Deutschlandängste aus seiner Auschwitz-gepeinigten Seele hinausschmeißen sollte, dann wird ihm Rudolf Teutonicus Augstein ein dezent-verhülltes Raus entgegenzischen. Siehe dazu auch Augsteins Wiesel -Kommentar in 'Spiegel‘ Nr. 2 dieses Jahres.

In Antje Vollmers Kommentar findet auch eine andere Welt -Persönlichkeit eine ehrenvolle Erwähnung, eine Persönlichkeit, deren Verdienste um Berlin und Deutschland auch nie so recht gewürdigt worden sind. Um auch hier schnellstmöglich eine nationale Dankesschuld abzutragen, schlage ich vor, das Brandenburger Tor in Willy-Brandt -Gedächtnis-Tor umzubenennen. Dies sollte am besten an dem Tag geschehen, an dem der Siegesgöttin ihr von sektvollen und siegestollen Silvesterhunnen entrissener Lorbeerkranz wieder auf die Dauerwelle gesetzt wird.

In Antje Vollmers Kommentar fällt auch der Name „Kyffhäuser“. Dazu dieses: Vor 800 Jahren - 1190 - holte sich Kaiser Friedrich Barbarossa auf seinem Kreuzzug nach Jerusalem in den kalten Gebirgswassern des Saleph-Flusses einen unheilbaren Herzschlag. Ich meine, dem deutschen Nationalismus - von Natur aus kreuzzüglerisch - tut das kühle Salephwasser immer wieder gut. Salephwasser oder Russischer Wodka - aber auch eisgekühlt! Die friedliche, demokratische Revolution in der DDR scheint mir nicht zuletzt auch deshalb so friedlich zu sein, weil Friedensgewehr zu Fuß - 400.000 Mann sowjetischer Truppen dabeistehen.

Michael ben-Awraham, Bonn

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