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Ein gesamtdeutscher Dialog auf Münchner Bühne

■ Gesprächsserie in Münchner Kammerspielen / Diesmal Neues Forum und West-SPD zur Frage: Wie soll die DDR-Opposition zu den Wahlen antreten?

München (taz) - „Wir wollen hier nicht Welträtsel lösen oder die deutsche Frage, was für manche im Moment dasselbe zu sein scheint.“ Witzig und souverän eröffnete der ehemalige Chefreporter der 'Süddeutschen Zeitung‘, Herbert Riehl -Heyse, die deutsch-deutschen Gespräche in den ausverkauften Münchner Kammerspielen. Nach den „Reden übers eigene Land“ soll jetzt an vier Sonntagen der gesamtdeutsche Dialog auf der Bühne geführt werden.

Gäste waren diesmal Bärbel Bohley und Jens Reich vom Neuen Forum auf der einen, der SPD-Überläufer Otto Schily mit dem ehemaligen Juso-Chefideologen Johano Strasser auf der anderen Seite. Streitfrage: Wie sollte die DDR-Opposition zu den Wahlen antreten? „Sollen wir wie die Flaschen im Gleichschritt marschieren oder sollen wir uns jeder einen neuen Hut aufsetzen?“ rätselte der Professor für Molekularbiologie und Mitbegründer des Neuen Forums, Jens Reich. Doch die Tendenz geht mehr in Richtung Zusammenarbeit. Mit einer gemeinsamen Liste werden Neues Forum und Demokratischer Aufbruch am 6.Mai wahrscheinlich antreten. SPD-Vertreter Strasser hielt diesen Weg jedoch nicht für den erfolgversprechenden. Um eine möglichst hohe Wahlbeteiligung zu erreichen, sei es doch günstiger, nicht mit einer gemeinsamen Liste in den Wahlkampf zu gehen, legte der ehemalige Berliner Pädagogikprofessor den oppositionellen DDR-Gruppen nahe. Und auch der frühere AL -Kandidat und Mitbegründer des Republikanischen Anwaltvereins, Schily, warnte vor einem neuen Parteienblock, der dann dem alten sozialistisch-monolithischen Block gegenüberstünde.

Die beiden vom Neuen Forum wollten sich nicht vereinnahmen lassen. „Was uns jetzt droht, ist ein Abklatsch des bundesrepublikanischen Modells“, äußerte Reich sein „Mißbehagen“ über die DDR-Unterwanderung durch die West -Parteien. Schließlich gebe es noch andere Formen demokratischer Systeme, wie sie etwa in der Schweiz oder den Vereinigten Staaten praktiziert würden, gab er zu bedenken. Als gefährlich bezeichnete er es, wenn innerhalb des neuen DDR-Parteiensystems kein Platz auch für die Rechten geschaffen würde. Außerdem habe er sich den Weg in ein demokratisches System anders vorgestellt. Seiner Meinung nach hätte es gleich nach dem Zusammenbruch eine verfassungsgebende Versammlung geben sollen, vor allem aber erst Kommunalwahlen, um so die Verantwortlichkeit des einzelnen wieder zu wecken.

Differenzen zwischen den Teilnehmern aus Ost und West gab es auch in der Frage der Wahlkampfhilfe aus dem Westen. Während Strasser sie als „legitim“ bezeichnete, wehrte sich Bärbel Bohley gegen allzuviel westliche Fürsorge. „Ich hab‘ das Gefühl, der Wahlkampf wird bereits hier in der BRD auf unseren Knochen ausgetragen“, beschwerte sich die engagierte Pazifistin. Kontrovers diskutiert wurde freilich auch das knifflige Problem Wiedervereinigung. „Wiedervereinigung kann nicht so gefährlich sein“, meinte Sozialdemokrat Strasser populistisch. Eine Garantie dafür, daß danach kein „aggressiver Nationalstaat“ entsteht, sah der Herausgeber der politisch-literarischen Zeitung 'L 80‘ in der europäischen Einbindung. „Zur Frage der Wiedervereinigung bin ich zerrissen“, gab dagegen Reich zu. Aber auch er wünschte sich ein vereintes Berlin als „quirligen Mittelpunkt Europas“.

Nur kurz gestreift wurde das Thema „Wirtschaft“. Hier sei die „Suche nach dem dritten Weg“ jedoch äußerst beschwerlich. Vage konnte Bärbel Bohley nur artikulieren, daß es noch etwas anderes geben müsse als den Kapitalismus, „auch wenn hier alles so schön ausschaut und die Tankstellen wie Schwimmbäder“. Mit ihr hofft auch Strasser auf eine „soziale und ökologische Zähmung der sozialen Marktwirtschaft“. Der idealistischen Vorstellung, westdeutsche Kapitalisten würden die Arbeiter drüben „nicht über den Tisch ziehen, weil sie dann nur linke Wähler und Protestpotential heranziehen“, gab sich auch Jens Reich hin, der das Publikum immer wieder mit seinem trockenen Humor erheiterte. „Ich hoffe, daß wir in beiden Staaten neue Regierungen haben werden, weniger Militär und vor allem mehr Freiheit“, verkündete Schily zum Schluß der Gespräche und erntete langanhaltenden Beifall dafür. Seine Chancen, über die abgetakelte Bayern-SPD in den Bundestag zu gelangen, scheinen nicht schlecht. Das Münchner Bildungsbürgertum jedenfalls liebt ihn.

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