: Standbild: Stasi-Sturm aus...
■ Brennpunkt, Sturm auf die Stasi
(Brennpunkt, Sturm auf die Stasi, ARD, 21.30 Uhr; Deutsches aus der anderen Republik, ARD, 23.00 Uhr) Was, sie lesen noch? Zeile für Zeile, Wort für Wort, von uns Wortlastigen dahingestammelt, die wir nur mühsam mit dem Schritt halten, was uns die stürmischen Ereignisse bis wenige Minuten vor Redaktionsschluß an Umwälzendem zumuten, währen die Kameraleute nur draufhalten und damit generell richtig liegen. Die Unmittelbarkeit des Augenblicks gelingt dem Fernsehen momentan ohne überlebte Floskeln. Es ist die Zeit des Fernsehens. Es stößt dem Betrachter zu. Ja, wirklich, von allen Medien, welche die Entwicklung der DDR verfolgen, hat das Fernsehen zum ersten Mal den Vorwurf abschütteln können, das Wirkliche nur als Abbild, als Phantom, als Reproduktion ins Haus zu liefern. Bilder vom runden Tisch, wie sie dieser Brennpunkt zeigte, Bilder vom Regierungsbeauftragten Manfred Sauer mit seiner Liste der Ungeheuerlichkeiten über die Staatssicherheit bedürften keiner Kommentierung mehr. Der Sturm auf die Gebäude der Staatssicherheit spricht für sich selbst - in den Bildern: Der Text von Fritz Pleitgen übertünchte da wieder nur die Vehemenz des Zeugnisses.
Allein, es gab auch wieder jenes andere Fernsehen. Dieser besserwisserische und anmaßende Ton des Korrespondenten, der über den Dingen steht. Fritz Pleitgen mußte zwar zugeben, daß er zum eigentlichen Sturm und zum Durchstöbern der Stasi -Zentrale zu spät gekommen war. Trotzdem nahm er sich heraus, die Geschehnisse gelassen zu beurteilen. Er habe in anderen Ländern ganz andere Dinge erlebt, ließ uns der Globetrotter wissen, es habe kein Grund zu Panik bestanden. Konrad Weiß von der Oppositionsgruppe „Demokratie Jetzt“ war da zu einer ganz anderen Einschätzung der Lage gekommen, aber ihm mußte Brennpunkt-Moderator Jürgen Engert erst gegen den beredten Schönfärber zum Wort verhelfen - eine paradoxe Situation, wieder einmal die Analyse desjenigen zu hören, der zum großen Teil nur Informationen aus zweiter Hand zu bieten hatte.
Zu später Stunde kam dann noch der Beitrag Deutsches aus der anderen Republik, der zuvor dem Druck der Straße weichen mußte. Vielleicht ganz gut so, denn hier präsentierte sich ein Fernsehen, das den Namen klassischer Hintergrundbericht wie eine Androhung trägt - zum Ausschalten langweilig. Sicher, den Kollegen Korrespondenten darf man nicht zu sehr auf den Schlips treten, denn sie waren in den vergangenen Wochen ja damit beschäftigt, das brandheiße Material, das uns so authentisch und unmittelbar erschien, ins Studio zu bringen. Doch reiben wir uns insgeheim die Hände, denn über verbrannte Erde in Bitterfeld, Auflösungserscheinungen in der NVA und den alerten Bürgermeister Dresdens hatten die Tageszeitungen längst berichtet und damit ausnahmsweise die Nase vorn. Das eine gegen das andere Medium: Im größeren zeitlichen Abstand bleibt die Analyse dem Wort treu, während dem Bild wohl die Größe des Augenblicks vorbehalten ist.
Christof Boy
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