: Auf den zweiten Blick
■ Drei Einakter von Djuna Barnes in Wien
Helena, die einsame Protagonistin des Stückes Vor die Hunde gehn, formuliert mit der Apodiktik von Schlußsätzen
-feministische Marksteine gewissermaßen: „Sollte ich, die ihr ganzes Leben darauf verwendet hat, ich selbst zu sein, mir aus dem Weg gehn, bloß um Ihnen irgendeine Perspektive zu verändern?“ Sie ist an einem Gespräch mit ihrem Nachbarn Gheid, der sich um ihre Liebe bemüht, wenig interessiert. So bleiben seine Sätze meist unvollständig, oder sie werden von ihr - ohne ihm ins Wort zu fallen - abgeschnitten.
Was im Leben als verhinderte Aussprache bezeichnet werden kann, ist auf der Bühne ein brillanter Dialog: nicht jedoch im Sinne eines leichtfertigen Wortgeplänkels, sondern eines Endspiels von Trauer und Bitterkeit. Es könnte immer so weitergehen. So, und nur so ließe sich der terminus Aussprache für das ästhetische Prinzip von Barnes‘ Dialogführung dann doch verwenden.
Elke Claudius als Helena ist nicht die Frau um 35, wie dies Djuna Barnes in ihren Anweisungen vermerkt. Sie ist älter, und damit wirkt ihre Zurückgezogenheit als Einsicht in eine Notwendigkeit, die nicht mehr nur frei gewählt erscheint. Darum aber um so endgültiger. Die Schauspielerin stattet ihre Figur mit jenem Maß an Selbstsicherheit und Bitterkeit aus, das die „ungewöhnliche Traurigkeit ihres Körpers“, wie es bei Barnes geheimnisvoll heißt, zur Geltung bringt.
Jost Meyer als Liebender, der behauptet, „vor die Hunde gehn - das ist mir nie passiert -“, ist hingegen schon von der Statur her eine klassische Fehlbesetzung. Von der Forderung, „entschieden männlich“ zu sein, ist ihm ebensowenig anzusehen, wie es in seinem Spiel zu spüren ist. Die Widersprüche, oder besser, die Spannungen des Barnes'schen Stückes sind im Spiel dieses Schauspielers unsichtbar.
Wenn Helena ihn als „Habenichts“ in Sachen Liebe bezeichnet, trifft dies zu genau. Vom ersten Blick an sollte dies jedenfalls nicht selbstverständlich sein - wie nichts an Barnes‘ Stücken selbstverständlich ist. Helenas Diktum, „Dinge, die nur einen Zustand kennen, interessieren mich nicht“, könnte als dramaturgischer Grundsatz für die Interpretation dieser (von Christine Koschel und Inge von Weidenbaum übersetzten) Einakter gelten.
Scheitert also Helga Illich, die Regisseurin der Wiener Aufführung, beiVor die Hunde gehn in erster Linie am Typus des männlichen Darstellers, erweisen sich die anderen Besetzungen als adäquater. Elke Claudius, auch in Drei vom Land die zentrale, aber ganz anders geartete Frauenfigur, nützt ihr schauspielerisches Repertoire, um nach der „tragischen“ Helena die „komödiantische“ Kate zu geben. Vielleicht hebt sie dies sogar um eine Spur zu deutlich hervor. Die 40jährige „Lebedame“ stellt sie dar, „eine Abenteurerin“, wie Barnes sie auch charakterisiert, ist sie weniger.
Versteht man die erste Bezeichnung als soziologische, die zweite als poetische Kategorie, eröffnet sich das dramatische Spannungsfeld der amerikanischen Schriftstellerin. Nichts ist auf den „zweiten Blick“ so, wie es auf den „ersten Eindruck“ erscheint. Die Figuren entwickeln neben ihrer psychologischen und sozialen Bestimmung ein poetisches Eigenleben. Sie erweisen sich als doppeltbelichtet, als, je näher man ihnen kommt, um so schwieriger zu fixieren.
Jost Meyer, Siegfried Schwartz und Stephan Wolf-Schönburg spielen die drei, die vom Land kommen, um von Kate, der früheren Geliebten ihres Vaters, seine Briefe zurückzufordern. Die Story - daß dieser sich die Kehle durchgeschnitten hat, der jüngste der drei Brüder in Wahrheit Kates Sohn ist usw. - läßt den Eindruck entstehen, daß hier, mit einem an Ibsen orientierten moralischen Anspruch, eine Vergangenheit über die Protagonisten hereinbricht, die einen Weg in die Zukunft für immer versperrt. Djuna Barnes‘ Absichten aber sind amoralisch, zugleich morbide. Eine Vergangenheit kommt zum Vorschein, aus der es naturgemäß keinen Ausweg gibt.
Doch vielleicht kann sich nach dem zweiten Blick die Möglichkeit eröffnen, ohne Blick zurück weiterzumachen. Oder, wie einer der Brüder sagt: „Mit anderen Worten, wir wünschen keine Erinnerung, und jetzt können wir vergessen und mit der Zeit ganz lustig werden.“
Der Reiz von Barnes‘ Stücken besteht auch darin, daß sie von unterirdischen Verbindungslinien durchzogen sind, welche die Dramen aber nicht gleichschalten, sondern vielfältig variieren. Allen drei Einaktern ist z.B. eine - kaum vollständig ergründbare - Tiermetaphorik eigen. Worte wie Hund, Affe, Schaf, Maus, Falke usw. werden im Gespräch verwendet - auch wenn tatsächlich existierende Lebewesen gemeint sind, ist der metaphorische Bedeutungsgehalt immer präsent.
In Drei vom Land erzählt einer der „schrecklich dummen“ Jungs, daß sie dem Vater manchmal „etwas Totes“, „irgendetwas, das Schaden angerichtet hat“, mitbrachten z.B. einen „Maulwurf“. Später wirft Kate deren Vater vor, ein „Maulwurfsleben“ geführt zu haben. Im zuletzt gespielten Einakter Die Taube sagt das Mädchen, das von einer der beiden Schwestern, bei denen es lebt, „Taube“ genannt wird: „Ich faßte eine große Liebe zu den Maulwürfen - es ist so kühn von ihnen, im Dunkeln unter der Erde zu leben.“
Madgalena Knapp-Menzel spielt die Taube als jenes „zerbrechlich wie Porzellan“ wirkende Geschöpf, das aber nicht bloß wegen des Säbels, den es fast während der gesamten Aufführung poliert - auch die anderen Eigenschaften des Porzellans fühlbar macht: hart, kalt und glatt. Wenn Vera, von der Regisseurin Helga Illich selbst dargestellt, der Taube vorwirft, daß sie das Zimmer, in dem überall Waffen herumliegen, durch ihr Betreten „zum Arsenal“ werden läßt, tut sie es zu Recht.
Illichs Inszenierung erreicht mit der Taube ein hohes Maß an Vielschichtigkeit. Einerseits seine simple Geschichte: Amelia, die dominierende Frau des Hauses, ist nur kurz weggegangen. Vera - die, nach eigener Einschätzung, ihren „Geist mit allem beschäftigt, und meinen Körper mit nichts“ - nützt die Abwesenheit, um sich an die Geliebte ihrer Schwester heranzumachen. Doch in welchem Sinn „heranmachen“, und was bedeutet „Geliebte“? Die Gruppe 80 zeigt eine Frauengemeinschaft als artifizielle Konstellation, die im besten Sinne vieles offen läßt.
Elke Claudius findet mit der heimkehrenden Amelia zu ihrer Rolle. Daß sie „durch und durch hysterisch“ wirken soll, wird bei ihr nicht als eine pathologische Kategorie denunziert, sondern zu einer poetischen stilisiert.
Susanne Pfanner hat die akribischen Bühnenbildbeschreibungen von Barnes nur mit wenigen Versatzstücken nachvollzogen. Derart könnte ihre Raumlösung als Metapher für das gesamte Unternehmen der deutschsprachigen Erstaufführung der drei Einakter durch die Gruppe 80 gelten: Nicht unfertig wirkt Helga Illichs Inszenierung - aber auch nicht endgültig.
Dieter Brandhauer
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