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Ist die SED-PDS zur Demokratie fähig?

Der SED-Reformer Rainer Land kritisiert die Entwicklung seiner Partei Den alten Parteiideologen folgten Technokraten, denen es nur um Machterhalt geht  ■ D O K U M E N T A T I O N

Unter dem alten totalitär-bürokratischen Regime gab es nur sehr begrenzte Möglichkeiten, sich außerhalb der SED gesellschaftspolitisch zu engagieren bzw. gesellschaftstheoretisch für linke Politik zu arbeiten. Daher organisierten sich viele Reformer in der SED. Sie glaubten, demokratische und progressive Traditionen der deutschen und europäischen Linken in der SED gegen die totalitär-bürokratische Entwicklung der letzten 40 Jahre aktivieren zu können. Dieser progressive Flügel in der SED hatte die Hoffnung, einen Bruch mit der bisherigen Politik durch einen Führungswechsel erzwingen zu können, so zu einer demokratischen Sozialismuskonzeption und einer darauf begründeten progressiven Gesellschaftsgestaltung zu kommen. Viele Parteiausschlüsse, Repressionen und Bestrafungen unter Ulbricht und Honecker richteten sich gegen diese progressiven Parteimitglieder, zu ihnen gehörten Walter Janka, Rudolf Bahro, Klaus Laabs, Robert Haveman...

Der Reformflügel ist wieder in der Minderheit

Im Herbst des vergangenen Jahres kämpfte der demokratisch -progressive Flügel der SED an der Basis als Teil der demokratischen Volksbewegung für den Sturz der Parteiführung, für eine demokratische Erneuerung unserer Gesellschaft und um eine moderne sozialistische Partei. Er erzwang als Teil der Volksbewegung den Rücktritt des Honecker-Politbüros und die Einberufung eines außerordentlichen Parteitages, den Rücktritt des alten ZK der SED und der Krenzschen alt-neuen Parteiführung. Er kämpfte für die Beseitigung des Machtmonopols der SED, für freie Wahlen und eine neue Regierung.

Jetzt, nachdem das alte totalitäre Machtregime gebrochen ist und in der SED formal nach Mehrheiten entschieden wird, zeigt sich, daß die Hoffnungen sich nicht erfüllen: Der Reformflügel ist wieder in der Minderheit, schlimmer ist aber: Er wird nach wie vor von einer praktischen Wirkung auf Politik ausgeschlossen. Der Usurpation der Macht durch die Parteiideologen ist geschwind die Usurpation durch die Technokraten gefolgt. Ihr Ziel ist, die alte SED-Ideologie abwerfend vor allem an der Macht zu bleiben:

-Statt öffentlicher Politik mit voller Einbindung auch der neuen politischen Kräfte wird unöffentliche Politik hinter verschlossenen Türen gemacht, wird die Öffentlichkeit aus der Entscheidung der praktischen Zukunftsfragen ausgeschlossen.

-Statt sich auf wirklich freie Wahlen einzulassen, kommt es zu formal gleichen Regeln bei praktisch fundamental ungleichen Möglichkeiten für die verschiedenen politischen Parteien - die SED (ist) nicht bereit, hinsichtlich Eigentum und Medien (insbesondere an Verlagen), gleiche Bedingungen zu schaffen.

-Statt nach einem inhaltlich begründeten Konsens für eine neue Politik in (der) Bevölkerung und mit den politischen Kräften zu suchen, sieht sie ihre Hauptaufgabe darin, die Regierung zu stützen, um das Land „zu retten“. Sie ist nicht bereit, die Entwicklung des Landes vom Inhalt her und nicht von der eigenen Macht her zu denken.

Es zeigt sich: Eine wirklich grundlegende Erneuerung der SED zu einer wirklich demokratischen Partei, die keine Sonderbedingungen im Eigentum beansprucht, die nicht am Machterhalt oder -gewinn, sondern am Politikinhalt wertet und entscheidet und in der progressive Konzepte gesellschaftspolitisch wirksam gemacht werden können, eine solche Partei ist die SED auch durch ihren Sonderparteitag nicht geworden und kann es auch nicht, solange ihre Politik dominiert wird von der auf Erhaltung der Macht orientierten Leiterschicht.

Eine Mehrheit in der SED setzt nicht auf schnellstmögliche und weitestgehende Demokratisierung unserer Gesellschaft was natürlich Aktionsraum für alle politischen Kräfte schaffen würde -, sondern auf die Kompetenz der Regierung, der Generaldirektoren, der Leiter, der Parteiexperten und der Verwaltungen. Ungeachtet aller anderslautenden Erklärungen äußert sich das in der praktischen Politik der Partei:

-fehlende Kritikfähigkeit gegenüber der Modrow-Regierung;

-nicht die SED setzt sich am konsequentesten für eine umfassende Öffentlichkeit und demokratische Kontrollmöglichkeiten der Regierungsarbeit ein;

-Bedenken gegenüber wirklicher betrieblicher Mitbestimmung;

-nicht die SED kritisierte die Vernachlässigung von Mitbestimmungsfragen durch die Regierung; sie läßt den Generaldirektoren freie Hand;

-mangelndes Vertrauen in den runden Tisch - nicht die SED setzt sich am konsequentesten für die Erhöhung seiner Autorität ein;

-die SED hat die Regierung nicht an dem Versuch gehindert, hinter dem Rücken der Bevölkerung einen Verfassungsschutz zu installieren, statt eine öffentliche Debatte über eine ganz neue Art der Sicherheitspolitik zu organisieren und erst zu entscheiden, wenn Konsens und Legitimation gegeben sind.

In Anbetracht dieser Situation forderten die einen die Auflösung dieser Partei und traten aus, als das nicht geschah. Andere setzten auf die grundlegende Erneuerung der Partei, das Konzept des „demokratischen Sozialismus“ bzw. den „Dritten Weg“.

Suche nach neuen politischen Organisationen

Die Minderheit in der SED-PDS, die sich vorbehaltlos für eine schnellstmögliche Demokratisierung und Öffentlichkeit ausnahmslos aller Entscheidungsprozesse einsetzt, muß sich die Frage vorlegen, wie sie unter diesen Mehrheitsverhältnissen an der gesellschaftlichen Umgestaltung in der DDR weiter teilnehmen kann.

Die Orientierung auf Machterhaltung untergräbt eine wirkliche Neubestimmung unserer Politik, nicht Wahlsieg und Regierungsbeteiligung der SED-PDS dürfen das dominante Ziel sein. Wie können wir von inhaltlich bestimmten Positionen ausgehend mit anderen demokratischen Kräften zusammenwirken, damit ein Parlament und eine Regierung zustande kommen, die den Selbstbestimmungs- und Selbstfindungsprozeß unseres Volkes im öffentlichen Streit um inhaltlich begründete Positionen und Koalitionen organisieren, und die Suche nach einer neuen Gesellschaft nicht im Gerangel um macht- und parteipolitische Interessen untergehen lassen?

Wir fordern den Reformflügel der SED auf, sich zu treffen, um zu entscheiden, welche Vorräte für die Zukunft linker Politiker richtig wäre:

1. Organisation eines eigenen unabhängigen Flügels in der SED (Ist es noch möglich, innerhalb der SED dafür den erforderlichen Spielraum zu schaffen, ohne Feigenblatt einer Politik zu werden, die wir nicht unterstützen können?)

2. Abspaltung und Gründung einer modernen Sozialistischen Partei

3. Austritt aus der SED und Suche nach neuen politischen Organisationen.

Wir rufen alle demokratischen Reformer in der SED auf, sich an dieser Entscheidung zu beteiligen, indem sie an dem von Michael Brie vorgeschlagenen Treffen am 3.Februar an der Humboldt-Universität in Berlin teilnehmen.12.1.1990

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