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Überall Papierschnitzel

Montag nacht in der Ostberliner Stasi-Zentrale: Bürgergruppen kontrollieren Waffenkammern  ■  Aus Ost-Berlin David Crawford

„Ein Radio für die Stimmung und 'ne Flasche Sekt für danach!“ höre ich in der U-Bahn auf der Fahrt zur besetzten ehemaligen Stasi-Zentrale. Am Ort selbst - nach der Verwüstung - ist die Stimmung anders. VertreterInnen des Neuen Forums sind dabei, Schaulustige und wütende Bürger aus dem Stasi-Komplex herauszukomplimentieren.

Alle Gebäude sind numeriert. „Haus17, AufgangB“ ist zu lesen. Überall auf dem nassen Boden ist Papier verstreut: Hunderte von Zollformularen, die jeder von DDR-Besuchen vor der Wende kennt. Haufenweise Buchungsformulare des DDR -Reisebüros. Allesamt blanko. Nur wenige Papiere sind beschrieben. Geheimpapiere gehören nach Dienstschluß in den Panzerschrank oder in den Reißwolf. Das Chaos hat seine Ordnung.

Die Volkspolizei in Dienstuniform hat kein Interesse, einzugreifen. Sie zählt nur den Schaden auf: kaputte Glastüren, Sprühereien an den Wänden. „Alles, was wie ein Telefon aussah, haben sie vernichtet. Und ich kann nicht verstehen, warum sie ein Lebensmittellager kaputt schlugen.“

Die Leute vom Neuen Forum wollen am liebsten, daß auch ich verschwinde. „Wir haben zu dieser Demonstration aufgerufen, und wir fühlen uns verpflichtet zu helfen, daß die Ordnung wieder hergestellt wird. Wir empfinden Verantwortung für die Gewalt, die hier angewandt wurde.“

In einem anderen Raum wartet ein Volkspolizei-Offizier gespannt auf eine Spurensicherungsmannschaft von der „K“ (Kriminalpolizei) mit schwarzem Koffer. Die „K„-Beamten werden zum nächsten Fall geleitet: Fingerabdrücke von mutmaßlichen Vandalen werden gesucht.

Militärstaatsanwälte in Begleitung von Mitgliedern der Bürgergruppen und der Volkspolizei sichern nun die Anlage. Waffenkammern und Rechenzentrum haben die höchste Priorität. Vor allem die Waffenkammern werden wiederholt kontrolliert, ob sie noch versiegelt sind.

Eine Treppe höher sieht alles ganz anders aus. Im Erdgeschoß ist alles grau angestrichen. Leere Regale zeigen, wo Überwachungsbildschirme noch vor wenigen Tagen standen. Oben gibt es Teppichboden, bequeme Stühle, einen großen Konferenztisch. Am Tisch befindet sich eine Art Kommandozentrale für die Bürgergruppen. „Als erstes müssen wir das Rechenzentrum abschalten“, sagt eine Frau. Vor ihr liegt ein Lageplan. „Das Problem ist, daß das technische Personal verschwunden ist.“ „Wir müssen jemand haben, der das System versteht.“

Ein Sprecher der Bürgergruppen erzählt, daß nur wenige der 6.000 Stasi-Mitarbeiter vor Ort seien. „Nur technische Dienste (Strom, Wasser) und Auskunftgebende. Ab morgen soll eine Kasse eingerichtet werden. Täglich sollen 400 der 6.000 Beschäftigten entlassen werden.“

Ein Volkspolizei-Offizier berichtet im Vorbeilaufen: „Der Amtsleiter ist anwesend oder trifft bald ein.“ Zu der Frage, ob alle nachrichtendienstliche Arbeit eingestellt wurde, heißt es: „Vorerst“. Die Auslandsdienste werden weiterarbeiten können, aber auch ihre Räume werden gesichert. Die Bürgergruppen richten sich für eine Präsenz rund um die Uhr ein. Ein Plan für freiwillige Mitarbeiter wird geführt.

An der Tür zur Straße frage ich einen der Bürger, wie lange er schon hier aushilft. „Ich war schon vorher hier, bei der Stasi.“ Er zeigt auf den Pförtnerraum. „Ich war Pförtner hier an dieser Tür.“ „Und jetzt machen Sie einfach weiter, nach der Übernahme?“ „Nicht alle Stasi-Leute sind gegen die Wende.“ Er macht die Tür auf. „Machen Sie Platz für den Journalisten!“ Ich laufe schnell weg. Hinter mir höre ich noch: „Ist er wirklich Journalist? Halt, wir wollen kontrollieren, ob Sie Akten mitnehmen.“

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