: Rot-grüne Streifen am saarländischen Horizont
Im Saalbau zu Homburg muß sich ein erstaunlich nachdenklicher Ministerpräsident des Saarlandes einem früheren Umweltminister aus Hessen in Umweltfragen geschlagen geben / Sie können gut miteinander / Oskar Lafontaine (SPD): „Wir verstehen uns“ / Joschka Fischer (Grüne): „Wir mögen uns sogar“ ■ Aus Homburg Petra Bornhöft
Das gefällt den von Oskar Lafontaine gewöhnlich ignorierten Grünen: An der Stirnwand des Saalbaues Homburg - laut Autobahnschildern irgendwo zwischen Paris, Metz und Kleinblittersdorf - hängen SPD- und Grünen-Transparente gleichberechtigt nebeneinander. Neunzig Minuten plaudern und scherzen Joschka Fischer und Oskar Lafontaine auf dem Podium. Danach will ein verwirrter Zuhörer wissen: „Es ist nett, mit anzusehen, wie gut Sie sich verstehen, aber wo unterscheiden Sie sich eigentlich? Gibt es eine Koalition?“ Eine außerhalb des Saarlandes scheinbar längst überholte Frage, doch im Saalbau zu Homburg steht die Option Rot-Grün den Diskutanten ins Gesicht geschrieben.
„Wir verstehen uns“, antwortet Lafontaine dem Frager. „Und wir mögen uns sogar“, ergänzt Fischer für diejenigen, die nicht wissen, daß die beiden in Bonn so manches Bier gemeinsam zischen. Einige Grüne verziehen etwas säuerlich die Mienen. Ihre Befürchtungen drohen sich zu bewahrheiten. „Wir haben Angst, daß ihr euch zu sehr in den Armen liegt“, hatte Landtagskandidat Michael Burkert dem Wahlkämpfer Fischer vor der Veranstaltung gesteckt. Ihr Ziel war es, „dem Oskar endlich mal klarzumachen, daß er einen Juniorpartner braucht“. Logisch, das bestreitet Lafontaine. Den Saar-Grünen attestierte er im Wahlkampf bestenfalls die Fähigkeit zu „allgemeinem Gelalle“.
Entgegen dem angekündigten Thema „Umbau der Industriegesellschaft“ spult Lafontaine vor den rund 600 ZuhörerInnen zunächst eine Kurzfassung seiner in diesen Tagen üblichen Rede ab. Farbloser als sonst. Die tour d'horizon durch die Landespolitik endet mit dem Hinweis, die SPD habe „bei Gott nicht alles gelöst, aber für strukturelle Weichenstellungen gesorgt“. Der Name seines Gegenkandidaten, Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) fällt nicht.
Den Part gegen den „sich immer als Mamas Liebsten präsentierenden, frommen Klaus, der in Bonn doch ein schlimmer Finger ist“, übernimmt Fischer. Vor dem nahezu restlos rot-grün orientierten Publikum eine überflüssige Aufgabe, für einen Möchtegern-Bundesumweltminister aber eine sinnvolle Übung. Erheiternd stellt Fischer sein rhetorisches Talent unter Beweis. Wenn er sagt, Töpfer sei deshalb so schlimm, „weil er es besser weiß und sich trotzdem zum Beispiel beim Naturschutzgesetz von Kohl das Rückenmark Wirbel für Wirbel hat rausziehen lassen“, dann schüttelt sich der Saal vor Lachen.
Lafontaine hört's gern, wenn ein Grüner schmeichelt, er sei „ein hervorragender Ministerpräsident“, und er schmunzelt auch noch, als Fischer anhebt: „Oskar ich frage mich, ob du hier nicht besser fahren würdest, wenn du nicht ein saarländisches Ökotopia zu verkaufen suchst, sondern es mit drei Schuß Ehrlichkeit probierst. Nach vier Jahren ist eure Bilanz mau. Hier funktioniert nur, was du selber anpackst.“ Den Seitenhieb gegen Umweltminister Leinen pariert Lafontaine gequält, immerhin nennt er erstmals seit Wochen den Namen seines zum Trauerkloß zusammengesackten Ministers: „Jo Leinen war der Buhmann der Rechten und der Industrie.“ Defensiver geht's nicht mehr, aber es ist ohnehin ein offenes Geheimnis, daß der MP seinen Umweltminister fachlich für eine Null hält.
Fachliche Pluspunkte sammelt der hessische Ex -Umweltminister beim Publikum und bei Oskar in der Frage der Abfallbeseitigung. Daß die Landesregierung in diesem Punkt „Schwierigkeiten“ mit der Durchsetzung einer Müllverbrennungsanlage in Velsen hat, räumt Oskar ein. Fischer nennt ihm die Ursache: „Selbst wenn du in Erbpacht Ministerpräsident wirst, Oskar, ich prohezeie dir, du kriegst keinen Standort mehr durch, wenn du nicht den Verursachern an die Gurgel gehst und nicht eine Vermeidungs und Verwertungspflichtigkeit ins Abfallgesetz schreibst.“ Das Publikum lauscht gespannt, Oskar zupft sich nachdenklich am Ohr. Er hört zu - für sich genommen schon eine Seltenheit im Saarland. Aber Fischer ist eben keine zweite Garnitur, sondern ein ernstgenommener Gesprächspartner.
Den Einwand, die SPD wolle über die Preispolitik Unternehmen zu Abfallvermeidung und -verwertung zwingen, kontert Fischer mit dem Hinweis auf Großbetriebe, die fast jeden Preis für Sonderabfallbeseitigung zahlen. Strukturell sei der Umbau der Industriegesellschaft „nur mit einem eigenen ökologischen Machtfaktor zu bewältigen“. Mit ihrer traditionellen Orientierung auf die Gewerkschaften könne die SPD das nicht allein, stößt Fischer in Oskars offene Partei -Wunde. Dem fallen dazu zwei kümmerliche Sätze über den „Umweltschutz in Ernst Breits Rede zum 40.Jubiläum des DGB“ und zu „fortschrittlichen Verkehrskonzepten in der IG Metall“ ein.
Den Punktsieg quittiert Fischer mit einem erstaunlichen Verzicht auf Präzision in Sachen Atomenergie. Voll des Lobes für die saarländische Energiepolitik („einsame Spitze“), verschwendet er keine Silbe an sozialdemokratische Atom -Eiertänze in anderen Bundesländern. Übt sich der Kandidat in Abstinenz, weil er weiß, daß mit Lafontaine ein Ausstieg in diesem Jahrtausend nicht zu machen ist?
Ein Dissens auf dieser Ebene ist im Saarland irrelevant. Die Übereinstimmung reicht so weit, daß Lafontaine erstmals die Frage nach der Landeskoalition nuschelnd beantwortet: „Meine Präferenzen sind relativ klar und gebunden an Personen und Inhalte.“ Den Grünen schlägt das Herz höher, doch Oskar fügt hinzu: „Ich kenne deren Programm und Personen nicht. Außerdem will ich nicht jedesmal stundenlang saufen, um Mehrheiten zu halten.“ Fischer beruhigt ihn: „Holger Börner wußte gar nichts von den Grünen, hat aber in 48 Stunden viel gelernt. Deine Leber würde vielleicht leiden. Aber Demokratie setzt nun mal das hohe Lied des Teilens voraus.“ Dieses sozialdemokratische Lied ist Oskar nicht fremd. Aber außerhalb des Saarlandes diskutiert er mit Lothar Späth oder klugen FDP-Politikern genauso gern wie mit Joschka Fischer.
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