: Roonstraße: Drogen- und atomwaffenfrei
■ Tumultszenen im Beirat / Vorschläge für den Umgang mit Drogenabhängigen: „Vergasen“ bis „Miteinander versuchen“
Einer schlug folgende Lösung des Problems vor: „Drogenabhängige sollte man vergasen!“ Der Zwischenruf eines älteren Herrn war ein einmaliger Ausrutscher, der aufgebrachte Ton die Regel. Zwei Stunden lang brüllten sich AnwohnerInnen und Beiratsmitglieder am Dienstagabend im Bürgerhaus Weserterrassen an. Mehrfach drohte Ortsamtsleiter Hucky Heck nach tumultartigen Szenen mit dem Abbruch der Sitzung, kündigte aufgebrachten Bürgern nach wüsten Schimpfkanonaden ihren Ausschluß an. Ein vor Empörung puterroter Sozialsenator Henning Scherf sah zwischendurch Anlaß, der Menge den obersten Grundsatz des Grundgesetzes ins Gedächtnis zu rufen. Mit sich überschlagender Stimme und unter wild ausholenden Gesten donnerte Scherf in die dichtbesetzten Stuhlreihen: „Noch schützt in unserem Lande die Verfassung jeden davor, daß ihm irgendjemand seine andere Sprache, seinen anderen Glauben, seine Hautfarbe oder auch eine Erkrankung vorwirft, die ihm nicht paßt.“ Aus dem Publikum donnerte es zurück: „Und wer schützt unsere Frauen und Kinder vor den Drogensüchtigen? Das Leben meines Kindes ist mir wichtiger als das eines Fixers!“
Seit im Haus Nr. 65 der Roonstraße mit dem einstimmigen Segen des Beirats eine Notunterkunft für Drogenabhängige eingerichtet wurde, sind ansonsten friedliche Bremer BürgerInnen auf Krawall gebürstet. Vätergewordene Lehrer und untervermietende Hausbesitzer, die sich selbst als „Linke“, als „entschie
dene Atomkraftgegner“ und „seinerzeit aktive Volkszählunsbo
ykotteure“ vorstellen, fürchten seither um Leib und Leben ihrer Kinder und um den Verkehrswert ihrer Immobilien. Schon bevor der Tagesordnungspunkt „Roonstraße“ aufgerufen wurde, hatten sie für den ersten Eklat gesorgt: In einem offenen Brief forderte die „Anwohnerinitiative Kein Drogenhaus in der Roonstraße“ Ortsamtsleiter Hucky Heck zum Rücktritt auf. Begründung: „Einen 'Viertelbürgermeister‘, der die Bürger hintergeht, um Kriminelle zu unterstützen, brauchen wir nicht.“ Mit „Lügen, Halbwahrheiten, Kungeleien“ und unter „Mißachtung von Gesetzen“, hätten Beirat und Ortsamtsleiter per Nacht- und Nebelaktion „der kriminellen Drogenszene“ ausgerechnet in ihrer Straße Obdach verschafft.
Unterstützung erhielten sie von der Eltern-Kind-Initiative „Elefantenhaus“ in der Uhlandstraße. Der nach eigenem Bekunden „älteste selbstverwaltete Kinderladen Bremens“ ließ den Ortsamtsleiter wissen: „Wir können nicht glauben, daß Ihnen das Schicksal von Kleinkindern gleichgültiger ist als die Sorge um das Wohlergehen von Drogensüchtigen. Wir fordern Sie auf, alles zu unternehmen, um die von Ihnen mitverantwortete Entwicklung umzukehren.“
Da nützte es dem Ortsamtsleiter auch nichts, daß sich alle Beiratsfraktionen von der CDU bis zu den Grünen einhellig hinter ihn und den eigenen Beschluß stellten. Selbst CDU -Fraktionschef Engelbert Nordmann verteidigte gegen eine aufgebracht zwischen
rufende Menge die Notunterkunft als letzte Möglichkeit, Menschen vor dem Erfrierungstod zu retten. Nordmann: „Angesichts von 53 Drogentoten im letzten Jahr, rund 50 obdachlosen Süchtigen und Außentemperaturen um Null Grad mußten wir handeln.“
Gegenfrage aus dem Publkum: „Man kann doch nicht den Überraschten spielen, wenn es ab November Winter wird. Den angeblichen Zeitdruck, unter dem gehandelt werden mußte, haben Sie selbst fahrlässig herbeigeführt.“
Gar nicht erst die Chance für einen Versuch der Selbstrechtfertigung sah SPD-Beirätin Gisela Howei. Mit Howei, die in der Roonstraße ihr Haus ausgerech
net mit der Sprecherin der Initiative „Kein Drogenhaus“ teilt, reden selbst ehemals gute Bekannte aus der Nachbarschaft kein Wort mehr - von anonymen Telefondrohungen abgesehen. In einer persönliche Erklärung, die in einem Chor von Buh-und Pfui-Rufen unterging, erklärte sich die sozialdemokratische Kommunalpolitikerin wegen des „massiven Drucks“ für befangen. Den weiteren Verlauf der Sitzung verfolgte Howei durch die Duchreiche der kleinen Teeküche des Bürgerhauses.
Für einen weiteren Tumult sorgte Howeis Fraktionskollege Peter Verhaeg mit dem Hinweis, daß „statistisch gesehen die mei
sten Kinder nicht durch Drogenabhängige in der Nachbarschaft, sondern von ihren eigenen Eltern mißhandelt werden.“ Mehrere Eltern quittierten Verhaegs provokanten Hinweis mit demonstrativen Auszug. Eine Annäherung der Standpunkte oder gar eine Lösung des Problems verpaßten sie nicht. Lediglich das Resumee einer Kindertagesstätten -Leiterin, die die Diskussion folgendermaßen zusammenfaßte: „Nach meinem Eindruck haben die Kinder im Viertel ganz gut gelernt, angstfrei mit Drogenabhängigen umzugehen, ob sie solche Diskussion ihrer Eltern angstfrei ertragen könnten, weiß ich nicht.“
K.S.
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