Öko-Luftblasen über Berlin

■ CDU diskutierte mit Ostberlinern über die Umweltperspektiven der neuen Metropole / Diepgen will „planerisch an das Gesamtproblem herangehen...“

Wie sich aus den Themen „Umwelt“ und „Wiedervereinigung“ eine Selbstdarstellung inszenieren läßt, demonstrierten die Westberliner Christdemokraten am Mittwoch abend da, wo in der Stadt der Wind der Geschichte am rauhesten weht: im alten Reichstagsgebäude. „Neue Umwelt und Naturschutzpolitik für Gesamtberlin?“ lautete der Titel des ersten sogenannten Reichstagsgesprächs in diesem Jahr, das formal von den Bonner CDU-Abgeordneten veranstaltet wird, die jedoch aus „Termingründen“ dem Treffen fernblieben.

Aus der DDR hatten zwei stellvertretende Neuminister den kurzen Weg durch die Mauer gefunden: für die Umwelt Professor Succow von der LDPD, für Schwerindustrie (unter dieses Ressort fällt auch der Bereich Energiepolitik) Professor Steinberg von der Ost-CDU. Steinberg, der den neuen Posten „wirklich nicht gern“ angetreten hat, fühlt sich „als Herr über mindestens 70 Prozent der Emissionen“ in der DDR. Sie seien ihm durch eine teilweise „kriminelle Umweltpolitik“ hinterlassen worden.

Als strategische „Zielstellungen“ für die DDR nannte Steinberg: ein neues Energiekonzept mit den Schwerpunkten Energieeinsparung, weg von der Braunkohle, mehr Erdgas und -öl, Steinkohleimport und „vorläufig keinen weiteren Ausbau der Kernenergie“ und einen Strukturwandel der Schwerindustrie. Unabhängig davon gehe es aktuell darum, über gezielte Firmenschließungen und die Entgiftung der Braunkohle-Großkraftwerke die schlimmsten Auswüchse rasch zu stoppen. Mit Blick auf die Finanzierung hofft Steinberg auf „Kompensationsgeschäfte in der Umweltpolitik“, weil die BRD von den DDR-Sünden schließlich mitbetroffen sei, wenn der Wind nur richtig wehe.

Auch Professor Succow machte das Sündenregister seiner Vorgänger auf. Vernachlässigung der Landschaftsplanung, eine industrielle, intensive Landwirtschaft, damit verbunden eine hohe „Vernutzung“, sprich: Vergiftung, der Gewässer waren die Stichworte. Das alles soll anders werden. Dem unkontrollierten Einfall Westberliner Wochenendurlauber im kommenden Frühjahr will die DDR mit der Einrichtung von Sperrgebieten für Surfer und Motorboote im Umland beikommen.

Für den Ost-West-Giftmülltourismus wünscht sich Succow künftig die Einhaltung einer schlichten Regel: „Jeder soll für seinen eigenen Müll aufkommen.“ Die aktuellen Verträge, die bis 1994 gelten, müßten allerdings von der DDR eingehalten werden.

Dem frustrierten Exregierenden Eberhard Diepgen blieb es vorbehalten, an den parteipolitischen Charakter der Versammlung zu erinnern: Auf seinem Öko-Auftritt offensichtlich vollkommen unvorbereitet, begnügte er sich mit dem wegweisenden Vorschlag, der Veranstaltung im Titel ein Ausrufezeichen statt des Fragezeichens zu verpassen. „Konsequent planerisch an das Gesamtproblem herangehen“ will Eberhard Diepgen, der sich sorgt, daß andere - gemeint war der rot-grüne Senat - „nicht über den Tellerrand gucken“. Außerdem sei er ein „schlichter Gegner von Deponien“, man müsse „andere Formen der Entsorgung finden“, was er leider, leider - „aus Zeitgründen“ nicht weiter ausführen könne. Jedenfalls dürfe es nicht dazu kommen, daß im neuen Gesamtberlin bestimmte landschaftliche Bereiche gefährdet würden, die „von Göring bis Honecker“ geschützt gewesen seien.

Einen Hauch von Spannung verschaffte der Veranstaltung allein der Geschäftsführer der Stiftung Naturschutz, Klaus -Dieter Heise, der ein wahres Horrorszenario mit weiteren Hunderttausenden Übersiedlern aus ganz Osteuropa, Verkehrschaos, „Datschenexplosion“ und touristischer Vermarktung des Umlands an die Wand malte. Dagegen könne nur eine „qualifizierte Zuzugssperre“ helfen, forderte Heise unter dem Beifall des Auditoriums. Das rief wiederum Diepgen auf den Plan, der den Vorschlag für „nicht mal diskussionsfähig“ erklärte - und dafür ebenfalls Applaus verbuchen konnte.

BÄP/gero