Warschauer-Pakt-Staaten wollen Doktrin ändern

■ In Wien trafen sich die höchsten Militärs der 35 KSZE-Mitgliedstaaten / Spitzengremium des Warschauer Paktes, das Konsultativkomitee, soll angeblich „aufhören zu existieren“ / Ein Erstes deutsch-deutsches Treffen der Generalstabschefs fand am Rande der Tagung statt

Wien (afp) - Die Umwälzungen in Osteuropa werden innerhalb des Warschauer Paktes nicht nur die militärische Zusammenarbeit, sondern auch das politische Spitzengremium des Paktes, das politische Konsultativkomitee, verändern. Diese Ansicht vertrat der für Abrüstungsfragen im sowjetischen Generalstab zuständige General Nikolai Tschernow am Mittwoch vor der Presse in Wien, wo seit Dienstag Militärs aus Ost und West an einem Seminar über Militärdoktrinen teilnehmen. Das Konsultativkomitee, dem die Generalsekretäre der kommunistischen Parteien der Paktstaaten angehören, „wird vermutlich aufhören zu existieren“, sagte Tschernow.

Der sowjetische General betonte, daß die UdSSR keinerlei Absicht habe, „sich in die inneren Angelegenheiten“ ihrer Verbündeten einzumischen. Alle Nationen hätten das Recht, ihre Zukunft selbst zu bestimmen. Bereits am Vortag hatte der sowjetische Generalstabschef General Michail Moissejew erklärt, der Warschauer Pakt müsse das System der Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten ändern. Von sowjetischer Seite wurde ferner darauf hingewiesen, daß die Ostblockstaaten in Zukunft in ihren Militärdoktrinen stärkeres Gewicht auf die nationalen Interessen legen würden, aber gleichzeitig Mitglieder im Warschauer Pakt blieben.

Für den Westen ist eines der Hauptanliegen des Seminars, an dem alle 35 Unterzeichnerstaaten der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) teilnehmen, die durch die Reformen in Osteuropa entstandenen militärischen Folgen besser abschätzen zu können. Am Rande des Seminars, das auf Expertenebene noch bis 5. Februar dauern wird, fanden mehrere bilaterale Begegnungen der Generalstabschefs statt. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Admiral Dieter Wellershoff, führte am Mittwoch ein Gespräch mit dem sowjetischen Generalstabschef Moissejew, das nach sowjetischen Angaben „konstruktiv“ verlaufen ist.

Am Rande des Seminars in Wien ist Admiral Dieter Wellershoff am Mittwoch zu einem ersten persönlichen Gespräch mit dem Generalstabschef der Volksarmee der DDR, Generalleutnant Manfred Grätz, zusammengetroffen, ein Gespräch, das von beiden Seiten als „offen und sachlich“ bezeichnet wurde. Nach dem Gespräch erklärte Generalleutnant Grätz vor der Presse, daß dieses erste Gespräch mit seinem bundesdeutschen Kollegen ihm vor allem die Möglichkeit „zu einer ersten Kontaktnahme und zur Darstellung der Situation der Volksarmee“ gegeben habe. Er bezeichnete diese Situation als „stabil“ und betonte, daß sich die Volksarmee „als Armee des Volkes versteht, die die ihr von der Verfassung übertragenen Aufgaben erfüllt“.

Die Präsenz sowjetischer Truppen auf dem Gebiet der DDR wurde jedoch nicht besprochen. „Diese Präsenz wird durch Regierungsabkommen geregelt und wird daher auf Regierungsebene besprochen“, sagte der General. Für Admiral Wellershoff ist es wesentlich, „zum gegenwärtigen Zeitpunkt nach Gemeinsamkeiten zu suchen“. Die künftigen Beziehungen zwischen den Armeen der beiden deutschen Staaten hängen, so Wellershoff, „von der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR ab“. Man sollte „sich jedoch in erster Linie darüber klar werden, wofür man ist und nicht danach suchen, wogegen man ist“.

Die beiden Generalstabschefs zeigten sich überzeugt davon, daß das Seminar über Militärdoktrinen den Verhandlungen über konventionelle Abrüstung in Europa neue Impulse gegen wird. Wellershoff und Grätz erwarten die Unterzeichnung eines ersten Abkommens noch in diesem Jahr.