: Flüchtlinge sollen Übersiedlern weichen
Der niedersächsische Landtag in Hannover debattierte Antiflüchtlingsbeschluß der Stadt Gifhorn / Wegen „Wohnraummangel“ will Gifhorn aber weiterhin den „Asylantenbestand abbauen“ / Türkische Arbeiter aus Gifhorn streikten gegen Ausländerfeindlichkeit ■ Von Jürgen Voges
Hannover (taz) - „Schlichte ausländerfeindliche Hetze“ nannte er Grüne Abgeordnete Hannes Kempmann den Beschluß der Stadt Gifhorn zur „Wohnraumsituation“, mit dem sich gestern der Lantag in Niedersachsen in einer von den Grünen beantragten aktuellen Stunde befaßte. Vor gut einem Monat hatte der Verwaltungsauschuß der Stadt Gifhorn jenen Beschluß mit dem unverfänglichen Titel „Wohnraumsituation in Gifhorn“ gefaßt. Die vom Stadtdirektor Gert Hoffmann eingebrachte Vorlage sah in dem Zuzug von 1.500 Aus- und Übersiedlern die Hauptursache für die „drastische Verschlechterung der Lage auf dem Gifhorner Wohnungsmarkt in den letzten zwei Jahren“. Doch die zu beschließenden „Maßnahmen gegen die Wohnungsnot sollten nach dem Willen des Verwaltungschefs nur die „Randgruppen“ treffen. Mit den Stimmen von CDU und FDP und allein gegen den Widerstand der Grünen verlangte der Verwaltungsausschuß, „daß der Stadt Gifhorn in Zukunft nicht nur keine Asylanten mehr zugewiesen werden, sondern der jetzige Asylantenbestand in der Stadt kurzfristig drastisch und mittelfristig ganz abgebaut wird“. Außerdem sollten alleinstehende Wohnungslose „nicht mehr in Gifhorn auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt bzw. im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus untergebracht werden“, sondern nur noch „in anderen Gemeinden des Landkreises“.
Die SPD-Abgeordnete Heidi Alm-Merk erinnerte die Gifhorner Stadtväter gestern in der Landtagssitzung, daß auch für Asylsuchende der Artikel Eins des Grundgesetzes gelte, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist. Allein der CDU-Abgeordnete Helmut Kuhlmann verteidigte jene ausländerfeindlichen Beschlüsse seiner Heimatstadt Gifhorn und sagte, er sei „traurig und zornig“ darüber, daß der ostniedersächsischen Kleinstadt zu Unrecht „Fremdenfeindlichkeit“ vorgeworfen werde.
In der „harmonischen und liebenswerten“ (so die Imagewerbung) 37.000-Einwohner-Stadt Gifhorn mit ihren herausgeputzten Fußgängerzonen leben ganze 178 Flüchtlinge, die vor allem aus Sri Lanka und dem Libanon stammen. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 0,48 Prozent. Nach der nichtöffentlichen Sitzung des Verwaltungsausschusses hatten die Grünen im Stadtrat als einzige von einem „Ausgrenzungsbeschluß“ gesprochen.
„Wer heute sagt, Asylanten und Randgruppen raus aus Gifhorn, der wird morgen auch vor dem Beschluß 'Ausländer raus‘ nicht zurückschrecken“, erklärte der Grüne Fraktionsvorsitzende Winfried Hatesohl. Seine Partei erinnerte auch daran, daß der Gifhorner Stadtdirektor Gert Hoffmann in seiner Studienzeit ein NPD-Aktivist gewesen war.
Schließlich erschienen Anfang Januar in Gifhorner Lokalzeitungen immer mehr Stellungnahmen der Kirchen, der Gewerkschaft und auch Leserbriefe, die sich fast ausnahmslos gegen den „Ausgrenzungsbeschluß“ richten. Bei den SPD -Ratsmitgliedern „regt sich daraufhin“ das Gewissen, sie wollten den Beschluß ändern. Auf einer Veranstaltung des Gifhorner DGBs sprach der Vorsitzende der SPD-Ratsfraktion, Karl-Heinz Schrader, am Dienstag von „der Schuld, die ich auf mich geladen habe“, und versprach „in nächster Zeit mit Asylanten über die Fehlentscheidung“ Gespräche zu führen und mit der SPD-Minderheit im Rat für die völlige Aufhebung des Beschlusses zu stimmen.
Unbelehrbar blieb allerdings der Ex-NPDler und Stadtdirektor Hoffmann. Unter „wichtige Beschlüsse, im Interesse unserer Bürger gefaßt“, ließ er in den Lokalzeitungen Anzeigen schalten, in denen im Namen der Stadt der Beschluß als Reaktion auf den „ungebremsten Zustrom von Neubürgern“ gerechtfertigt und „die Gefahr sozialer Spannungen in unserer liebenswerten Kleinstadt“ beschworen wurden.
Wie wenig „harmonisch und liebenswert“ Gifhorn inzwischen geworden ist, zeigte ein spontaner Streik gegen Ausländerfeindlichkeit im Gifhorner Werk des Bremsenherstellers Tewes. In dem größten Gifhorner Betrieb legte am Wochenende eine Abteilung, in der zu 90 Prozent Ausländer tätig sind, die Arbeit nieder, nachdem ein türkischer Kollege versetzt worden war, weil er sich gegen ausländerfeindliche Äußerungen seines Schichtführers gewehrt hatte. Nach Einschaltung des Betriebsrates wurde die Versetzung zurückgenommen. Die CDU mit ihrer absoluten Mehrheit im Gifhorner Rat will aber immer noch an ihrem ausländerfeindlichen Beschluß festhalten. Auf der heutigen Ratssitzung will sie nicht einmal das diskriminierende Wort „Asylantenbestand“ aus dem Beschluß streichen.
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