: TUT TUT TUT - Besetztzeichen als Dauerton
■ Warum die Telefonitis zwischen West- und Ost-Berlin derzeit noch keine Chance hat, zur Epidemie zu werden / 460 Leitungen setzen vorerst dem Telefonkontakt enge Grenzen / Polizeipräsidenten kurbeln schon wieder fleißig / Im Berliner Untergrund bewegt sich was
Wer in den letzten Wochen seinen Zeigefinger bemühte, um mal eben in Ost-Berlin anzurufen, ärgerte sich schwarz: ewiges Tut-Tut-Tut-Tut, naja, das Besetztzeichen eben. Aber nicht etwa nur in den bekannten Spitzenzeiten zu Bürobeginn, nach der Mittagspause und rund um die Verbilligung der Ferngespräche nach sechs Uhr abends, nein, dauernd, immer und ewig eben. Nicht nur sportliche Menschen erreichen ihren Gesprächspartner schneller zu Fuß als per Fernsprecher: Gerade 460 Sprechkanäle verbinden West- mit Ost-Berlin dafür allerdings an historischer Stelle. Der alte Kabelschacht verläuft direkt unter dem Brandenburger Tor.
Die überlastete Berlin-Berlin-Verkabelung wird mindestens die nächsten Monate weiterhin unzureichend bleiben. Weitere Telefonverbindungen würden nämlich gar nichts nützen, sagt die Bundespost: „Wir könnten leicht das Doppelte an Leitungen schalten, aber im Osten enden die dann in einer Sackgasse.“ Das DDR-Telefonnetz müsse erst einmal ausgebaut werden.
Den neuen Markt im Osten haben die Elektronik-Riesen SEL und Siemens schon entdeckt. Aber so richtig ran kommen sie halt noch nicht. Einmal mangelt es der DDR bekanntermaßen an Devisen, zum zweiten gibt es auch immer noch westliche Einschränkungen für das Ost-Geschäft. Die COCOM-Liste untersagt den Export von Hochtechnologie in die bisher „sozilistisch“ genannten Länder. Feld-Telefone werden in der US-Liste übrigens nicht als Hochtechnologie eingestuft welch Glück für die Polizeipräsidenten Schertz (West) und Griebel (Ost), die sich täglich per Kurbel an den Draht holen.
Knallnormale PostkundInnen müssen also noch einige Zeit warten, obwohl sich hinter den Kulissen einiges tut. Die Postgewerkschaft freut sich: „Die Kollegen kommen einfach rüber und machen mal die Tür auf.“ Über diesen direkten Postler-Kontakt hinaus überlegen sich die Gewerkschafter sogar, die neugierigen Ostler an ihrer Fachschule weiterzubilden. Bis dahin beschränken sich die Gastgeber darauf, ihren Gästen die Schaltschränke am Nollendorfplatz zu zeigen.
Aber auch auf den oberen Etagen der Postdirektionen gibt es regen Austausch. In diesen Tagen sollen mehrere Expertengruppen die Koordinierung des gelben Paares beraten. In den nächsten Wochen werden Bauarbeiter den Kabelschacht unter der Quadriga restaurieren und die Koaxkabel erneuern.
Aber auch nach dieser Erneuerungsaktion bleibt die alte Ungerechtigkeit bestehen: Für OstberlinerInnen stehen nach wie vor nur die alten 72 Leitungen in den Westen zur Verfügung. Übrigens: Auch was die Telefonverbindungen anbetrifft, war und ist die DDR-Provinz gegenüber der Hauptstadt benachteiligt: Von West-Berlin gehen ganze 96 Kabel ins platte Umland und nur 24 von dort zurück.
Joachim Schurig
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