: Der Richter und der Bulle
Salomonisches Urteil des DFB-Sportgerichts im Falle des Kaiserslauterer Fußballspielers Stefan Kuntz ■ PRESS-SCHLAG
Die Verhandlung des Falles Stefan Kuntz vor dem DFB -Sportgericht versprach ein packender Höhepunkt in der Geschichte dieser Institution zu werden, ein Duell in Sachen Gerechtigkeit, wie ihn die Frankfurter Fußball-Juristen noch nicht erlebt hatten. Den Part des Schurken übernahm bereitwillig kein Geringerer als der Held des Bundesligaskandals 1971, der DFB-Chefankläger Hans Kindermann, ein ehemaliger Verkehrsrichter, der vor Jahren die Anschnallpflicht als „eine Art Todesurteil“ bewertet hatte und den irgendwann in seiner frühen Kindheit ein mysteriöser abgrundtiefer Haß auf Fußballer und ihre Trainer befallen haben muß. Seitdem verfolgt er diese Berufsgruppen mit erbarmungsloser Verbissenheit und brummt ihnen voller Wonne die saftigsten Geldstrafen und Sperren auf.
Die Rolle des Helden hatte sich Stefan Kuntz zugedacht, ein zum Zwecke des Balltretens beurlaubter Polizist, der auch auf dem Spielfeld unbarmherzig das Gesetz befolgt. Noch nie war der brave Mann vom Platz gestellt worden, bis zu jenem verhängnisvollen 16.Dezember 1989, als er einen von Schiedsrichter Hans-Joachim Osmers aus Bremen verhängten Elfmeter für den 1. FC Köln nicht einsehen mochte und in seiner Funktion als Mannschaftskapitän des 1.FC Kaiserslautern heftig gegen die Entscheidung protestierte. Daraufhin habe ihm, so Kuntz, der Schiedsrichter mehrfach ein rüdes „Hau ab“ entgegengeschleudert, worauf Kuntz schließlich die hübsche Replik einfiel: „So einen ordinären Kerl habe ich lange nicht gesehen.“
Osmers zückte die rote Karte, teilte später der Fernsehkamera mit, der Spieler habe ihn ein „ordinäres Schwein“ geheißen, und bestritt in der Folgezeit energisch, jemals so etwas wie „Hau ab“ zu Kuntz gesagt zu haben. Hans Kindermann beantragte schriftlich eine vierwöchige Sperre für den Spieler, die wegen der Winterpause nicht zur Wirkung gekommen wäre. Doch der erboste Fußballer gab sich nicht zufrieden. Er hielt es keineswegs für ehrenrührig, jemanden als „ordinären Kerl“ zu titulieren, wies die Strafe „aus Gründen der Wahrheitsfindung“ zurück, verlangte eine mündliche Verhandlung und forderte „Gerechtigkeit“, also Freispruch.
Zeugen hatte er genug, und der arme Bremer Pfeifenmann mußte einige seiner vorherigen Aussagen revidieren. Das Osmersche „Schwein“ transformierte zum Kuntzschen „Kerl“, und zu guter Letzt gestand der Schiri auch noch die Worte „Hau endlich ab“. In fünf Fällen attestierte Kuntz -Verteidiger Schickhardt Herrn Osmers objektive Unwahrheit, und es schien sich alles zum Guten zu wenden für seinen torgefährlichen Mandanten.
Aber nun kam der Auftritt des Herrn Kindermann. Auch auf dem Spielfeld gelte das Strafgesetzbuch, donnerte der drakonische Gurtmuffel drauflos und ließ sein Plädoyer in dem Verdikt gipfeln: „Jede Beleidigung eines Schiedsrichters ist verantwortungslos und kriminell.“ Die Widersprüche, in die der Schiedsrichter verwickelt worden war, empfand Kindermann als „Stimmungsmache gegen Osmers, die mich angewidert hat“, und in seinem Strafantrag setzte er auf die im schriftlichen Verfahren geforderten vier Wochen unverdrossen noch eins drauf. Er forderte nun ein Spielverbot bis zum 27.Januar, was wegen der Winterpause ebenfalls bedeutungslos gewesen wäre. Aber, wie wir wissen, ging es ja um nichts als die Wahrheitsfindung.
Das Gericht mochte dem 66jährigen DFB-Inquisitor dann doch nicht folgen und urteilte eher salomonisch. Der „ordinäre Kerl“ wurde mit zwei Wochen Sperre geahndet, die durch die Vorsperre abgegolten sind. So hatte Kuntz ein Zipfelchen Gerechtigkeit erhascht, und Kindermann darf sich darüber freuen, nunmehr zu den wenigen Menschen in diesem Lande zu zählen, die die Verurteilung eines Polizisten erwirkt haben.
Matti
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