piwik no script img

Besichtigung der Hinterhöfe

■ Eine Pflichtlektüre über das Gebaren von Multis in der Dritten Welt / Zehn Reportagen aus Afrika, Asien und Lateinamerika im Auftrag der Schweizer 'WochenZeitung‘

Im September 1988 fand in West-Berlin die Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank statt. Der Widerstand war gut organisiert, die Krönung ein Gegenkongreß an der Technischen Universität Berlin. Die Diskussionen damals zeigten, wie komplex die Materie ist, und wie schwierig eine gut fundierte Kritik der weltwirtschaftlichen Prozesse und Praktiken. Zu schwierig! Jedenfalls für die NichtexpertInnen. Die angelernten Fachbegriffe verschwanden so schnell aus dem Gedächtnis, wie das Thema IWF, Weltbank, Dritte Welt aus dem Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Für jene, die sich nicht mehr in globale Analysen verstricken, die komlizierte Zusammenhänge aber dennoch und immer noch verstehen wollen, ist nun im Herbst 1989 der Reportagenband Besichtigung der Hinterhöfe erschienen.

Die Idee zu diesem Band entstand im Vorfeld der Jahresversammlung des IWF in der Redaktion der Schweizer 'WochenZeitung‘ ('WoZ‘). Auslöser waren die Fragen: Warum ist die Diskussion über die multinationalen Konzerne in den Hintergrund geraten? Und: Wie verhalten sich diese Unternehmen heute? Während in den 70er Jahren die Multis noch kräftig investierten, ist die Tendenz seit Anfang der 80er rückläufig. Es kam zu der absurden Situation, daß die Drittweltländer um die „Gunst“ der Konzerne konkurrieren müssen, um nicht aus dem Weltmarkt ausgeklinkt zu werden. Welche Schlüsse sind daraus zu ziehen? Die Situation ist nicht nur absurder, sondern auch komplexer geworden. Die Findung neuer Investitionsformen, sogenannte Joint-ventures, ist ein Indiz dafür. Seit mehreren Jahren versuchen verschiedene Wirtschaftsfachleute, die Entwicklung in globalen Analysen zu erklären.

Die RedakteurInnen der 'WochenZeitung‘ gingen anders vor. ReporterInnen und FotografInnen reisten im Auftrag der 'WoZ‘ zu den „Tatorten“, um „sich dort umzusehen, wo Schweizer Maschinen laufen, wo Schweizer Manager verfügen, wo Produkte versprüht, gegessen, verschossen, gepriesen oder verflucht werden, die in der Schweiz erdacht und entwickelt worden sind“. Es entstand eine Serie von zehn Reportagen, die in der Zeitung von September 1988 bis September 1989 veröffentlicht wurden. Die meisten AutorInnen kommen aus der Schweiz oder der BRD. Sie sind allesamt FachjournalistInnen, wie der Afrikaspezialist Al Imfeld oder die Lateinamerikajournalistin Gaby Weber. Vertreten ist auch Biggi Wolf mit einer Reportage über den Sulzer-Konzern in Indien. Ob Sulzer eine Schwerwasseranlage in Argentinien baut oder Ciba-Geigy in Mexiko Medikamente, Farben und agrochemische Produkte herstellen läßt, ob Nestle auf den Philippinen produziert oder der Basler Chemiemulti Sandoz in Pakistan: das Szenarium weist überall große Ähnlichkeiten auf. Die Produktionsanlagen der Multis sind von hohen Mauern und Stacheldraht umgeben, hinter denen sich mitten in der Landschaft und der bäuerlichen Umgebung ein Stück hochentwickelter Industrie befindet. So unvermittelt, wie die Werke in der Landschaft stehen, so scharf ist der Widerspruch zwischen der Lebensweise der Bewohner und den Regeln, die mit der stückweisen Industrialisierung eingeführt werden.

Die AutorInnen kennen eben nicht nur die globalen Zusammenhänge, sondern auch die Geschichte und die Besonderheiten der jeweiligen Länder. Ihre Berichte sind klassische Reportagen. Sie spiegeln die Konfrontation mit einer widersprüchlichen, aber auch vielschichtigen und widerständigen Realität wider.

Besichtigung der Hinterhöfe ist ein Buch, in dem das Lesen trotz des ganzen Elends nicht zur Pflichtübung wird, und die LeserInnen auch nicht zu Voyeuren macht. Das Nachwort von Peter Bosshard und die Daten über die verschiedenen multinationalen Konzerne, die jeder Reportage in einem Anhang beigefügt sind, liefern das theoretische Rüstzeug und die nötigen Informationen, um den LeserInnen ohne Kopfschmerzen einen Einblick in das aktuelle Geschehen auf der anderen Seite der Welt zu ermöglichen.

Astrid Deuber-Mankowski

Die WochenZeitung (Hrg.): Besichtigung der Hinterhöfe, Reportagen über die Geschäfte der Schweizer Multis in Afrika, Asien und Lateinamerika. Rotpunktverlag, Zürich 1989, 232 Seiten, DM 29,80

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen