: Drogenkrieg in den USA
Der mediengerecht inszenierte Antidrogenfeldzug der Bush-Administration soll unliebsame Themen verdrängen / Kriminalisiert werden vor allem schwarze Dealer ■ Aus Washington Rolf Paasch
In Panama fallen 26.000 US-Soldaten zur Festnahme eines drogendealenden Diktators ein; vor Kolumbien kreuzen Kriegsschiffe der US-Flotte, um hochseetaugliche Koks-Kähne und tieffliegende Crack-Clipper abzufangen, und daheim wird den verschreckten US-Bürgern eine polizeiliche Großoffensive in den drogeninfizierten Ghettos der amerikanischen Innenstädte vorgespielt. Der von der Bush-Administration entfachte Drogenkrieg ist nicht so sehr die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln als die Simulation politischer Handlungsfähigkeit dort, wo mit traditionellen Maßnahmen nichts mehr geht. Ehe der Drogenkrieg jetzt nach Zentralamerika ausgedehnt wurde, hatte die Bush -Administration die einheimische Bevölkerung bereits im vergangenen Herbst in die richtig militante Stimmung versetzt. „Drogenzar“ Bill Bennett ließ seinen Boß George Bush am 6.September zum Feldzug gegen den Rausch nach dem Gift aufrufen. Ein mediengerecht inszenierter „war on drugs“, so spekulierte die Bush-Administration, werde andere unliebsame Themen wie das Haushaltsdefizit oder die Umweltzerstörung von der politischen Tagesordnung verdrängen.
Im Rausch der Drogenberichterstattung
In den sechs Wochen, bevor und nachdem der Präsident in seiner ersten Fernsehansprache an die Nation illegale Drogen zu Amerikas Problem Nr.1 erklärt hatte, veröffentlichten die TV-Networks sowie 'Washington Post‘ und 'New York Times‘ insgesamt 347 Berichte von der Drogenfront. Wie Anthropologen, nur mit weniger Vorwissen, wurden die Reporter in die drogeninfizierten Innenstädte Amerikas entsandt. In einer konzertierten Aktion, die einer temporären Gleichschaltung der Medien nahe kam, flimmerten von nun an dramatische Bilder aus den überwiegend von Schwarzen bewohnten Ghettos in die Wohnzimmer der Nation: Schwarze Drogenunternehmer in glänzenden Gucci-Anzügen und schnittigen Sportcoupes, die durch ihre Dealernetze ganze Nachbarschaften terrorisieren und sich Schießduelle liefern. Schwarze Teens als Laufburschen in der Dealerlehre; als schwächstes Glied in der Drogenkette ideale Objekte für fesselnde und moralisierende „human touch stories“. Schwarze Mütter, hilflos und voller Verzweiflung über Beschaffungskriminalität und tödliche Konkurrenzkämpfe um Marktanteile zwischen den im Crack-Geschäft operierenden Familienclans. Die Kameras mit den immer zu spät eintreffenden Gesetzeshütern beim Abräumen der Opfer hautnah dabei.
„Die Geschichte des Drogenkriegs“, so schreibt das Monatsmagazin 'Harper's‘, „appelliert an die Vorurteile eines Publikums, das nur allzu willig ist, das Schlechteste über die anzunehmen, die man am liebsten gar nicht kennen würde.“ Nur um beim weißen Publikum die Spannung aufrechtzuerhalten, findet gelegentlich eine Story über den Kokainkonsum in den weißen Vorstädten als Intermezzo Eingang in eine Drogenberichterstattung, die längst selbst zur Sucht geworden ist. Und um irgendeinen Sinn der von George Bush verfügten Maßnahmen zur verstärkten Drogenbekämpfung zu suggerieren, werden seit September sämtliche Drogenfunde gefeiert, als würde mit dem Abfangen von ein paar Kokainsäcken in Miami oder San Diego gleich auch die Nachfrage nach dem Stoff entsprechend reduziert. Die Frage nach der Nachfrage wird in diesem Drogenkrieg denn auch gar nicht gestellt. Obwohl rund 80 Prozent aller Kokainkonsumenten der weißen Mittelklasse angehören, bleiben die Akteure in dem Medien- und Politspektakel meist schwarz.
Der Kampf gegen eine Reihe willkürlich als illegal eingestufter Drogensubstanzen trägt zur Konstruktion einer vermeintlich schwarzen Pathologie bei, obwohl die Allgegenwart der Droge in den USA die Frage nach einer Pathologie der amerikanischen Gesellschaft aufwirft.
Professionalisierung des
Handels durch Drogenkrieg
Wenn man die Reportagen über die Eroberung und Crackinfizierung jungfräulicher Kleinstädte im unschuldigen „Midwest“ der USA durch die wildgewordenen Westküstengangs der „Crips“ und „Bloods“ daheim am Bildschirm verfolgt, könnte man meinen, vor der Entstehung dieser schwarzen und hispanischen Jugendgangs im urbanen Dschungel von Los Angeles sei Amerika drogenfrei gewesen. Dabei hatte US -Präsident Richard Nixon bereits 1972 den „totalen Krieg gegen gefährliche Drogen“ erklärt und zum „konzentrierten Angriff auf den Heroin-Pusher an der Straßenecke“ aufgerufen. Doch mit der verstärkten Überwachung der Grenze zu Mexiko und der Schaffung neuer Drogenbehörden, so argumentiert die Soziologin Patricia Adler in ihrem Buch Wheeling and Dealing, wurden lediglich die Amateure vertrieben und das Drogengeschäft professionalisiert. „Der undifferenzierte Kampf gegen Marihuana, Heroin und Kokain“, schreibt der Journalist Jeff Morley in der Wochenzeitung 'The Nation‘, führte „zur Stimulierung der Kokain -Ökonomie„und nicht zum Rückgang des Drogenkonsums. Im Kokain-Boom der ausgehenden 70er Jahre nahm der neue Industriezweig langsam feste Gestalt an. Kolumbianer beherrschten Produktion und Export, während meist weiße Amerikaner daheim den Großhandel und die Geldwäscherei kontrollierten. Der einzige ernsthafte Versuch der staatlichen Behörden, den neuen Drogenbaronen ihr einträgliches Handwerk zu legen, mißlang: Die 1979 von mehreren Behörden gestartete „Operation Greenback“ zur Verfolgung der Narco-Dollars durch das Bankensystem scheiterte letztlich am Widerstand der Banken und an der Politik der Reagan-Administration, die öffentliche Kontrolle über den Finanzbereich zu verringern. Besonders George Bush, von Reagan 1982 als Vize-Präsident mit der Beaufsichtigung der Anti-Drogen-Maßnahmen betraut, so klagte ein ehemaliger Mitarbeiter von „Operation Greenback“, habe wenig Interesse an den Cash-Bergen gezeigt.
Drogenhandel als private AB-Maßnahme
Obwohl auch Ronald Reagan im Verlaufe seiner Amtszeit den Drogen gleich mehrmals den Krieg erklärte („noch ein Krieg für die Freiheit“), wurde Kokain die Mode-Droge der 80er Jahre. Das aufputschende Kokain paßte viel besser in das Leben auf der Überholspur, wie es die weiße aufstrebende Mittelklasse in den 80er Jahren führte, als das eher beruhigende Marihuana.
Als der Kokainmarkt Mitte der 80er Jahre gesättigt war, wurde nach bester kapitalistischer Manier ein neues Produkt eingeführt, das zusätzliche Käuferschichten erschloß: Die Ankunft von Crack in den US-amerikanischen Großtädten läßt sich recht genau auf die erste Hälfte des Jahres 1985 datieren. Allerdings waren nicht euphoriehungrige Yuppies, sondern die Bewohner der heruntergekommenen Innenstädte die Konsumenten der neuen Droge.
In den Zentren des sozialen Elends, in denen die Jugendarbeitslosigkeit unter den Schwarzen den nationalen Durchschnitt von 35 Prozent in der Regel noch übersteigt, bietet Crack oft die einzige attraktive Erwerbsmöglichkeit. Wie der Anbau von Coca für den Andenbauer, ist der Crack -Handel für die jungen Schwarzen in den USA eine völlig rationale Karrierewahl. Neben der „instant gratification“ durch Geld und Drogen, so der Soziologe Terry Williams in seinem Buch Cocaine Kids, sei eine die Crack-Ökonomie motivierende Kraft der Wunsch, der Familie und den Freunden zu zeigen, daß man wenigstens an einem Punkt erfolgreich sein könne. Mangelndes Selbstwertgefühl schwarzer Teenager wird von praktisch allen afroamerikanischen Aktivisten und Experten als das größte Hindernis bezeichnet, dem sich die schwarze Community nach Jahrhunderten der Sklaverei gegenübersieht.
Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich Crack plötzlich in den schwarzen Communities der Innenstädte ausgebreitet hat, sind die dort kursierenden Verschwörungstheorien gar nicht mehr so verwunderlich. Was für den Außenstehenden schlicht kapitalistische Logik ist, erscheint vielen radikalen Schwarzen als „versuchter Völkermord“ an der schwarzen Rasse.
Die Frage nach
der Nachfrage
Wer allerdings das Drogenproblem in den USA auf den oft brutalen Verteilungskampf in den schwarzen Ghettos reduziert, folgt genau der Logik der Bush-Administration, die nach 20 Jahren vergeblichen Drogenkriegs immer noch daran glaubt, dem Phänomen mit der Strategie der Kriminalisierung begegnen zu können. Dabei macht ein Blick auf die Medikamentenpalette der Supermärkte oder auf die Flut von TV-Pillencommercials zur Befreiung von Streß und Seelennöten deutlich, daß die Droge tiefer sitzt, als man in den USA denkt. „In Amerika“, so formuliert es der in Harvard lehrende Kinderpsychiater Robert Coles, „herrscht die utopische Vorstellung, daß wir uns mit der richtigen Dosis von Medikamenten und Drogen von Schmerzen befreien können.“
Der schier unersättliche Drogenkonsum in den Vereinigten Staaten ist somit weniger eine Frage von Moral und Kriminalität, wie die Bush-Administration mit ihrem Drogenkrieg suggeriert, sondern ein psychologisches, gesundheitspolitisches und ökonomisches Problem. Ob Appetitanreger, Alkohol, Amphetamine oder Crack als Verdrängungsmittel zum Einsatz kommen, hängt dabei von der Geschlechts-, Klassen- und Rassenzugehörigkeit der Konsumenten ab - und manchmal auch vom Zufall.
In dieser allumfassenden Drogenökonomie ist den Schwarzen „Unternehmern“ auf der untersten Sprosse der sozialen Leiter lediglich der riskanteste Teil des als illegal definierten Drogenbusineß zugewiesen worden; und den schwarzen Drogenkonsumenten mit Crack die billigste, härteste und schädlichste Droge. Die Konzentration von law und order auf die Ghettos, die Kriminalisierung von schwarzen Kleindealern und selbst von Gelegenheitskonsumenten ist politisch bequemer als eine tiefergehende Untersuchung des Nachfragephänomens. Die Entsendung von US-Drogenberatern mit militärischem Know-how nach Kolumbien und die Jagd auf Drogendealer und Drogenopfer lassen sich eben eindrucksvoller in Szene setzen als langwierige Maßnahmen gegen die Geldwäscherei und Programme zur medizinischen Rehabilitierung von Drogenabhängigen. So wiederholt George Bushs Drogenzar (ein selbstherrlicher Titel für einen selbstherrlichen Politiker) William Bennett so ziemlich sämtliche Fehler vergangener Drogenbekämpfung - und fügt neue hinzu: Militärberater statt Entwicklungshilfe für Zentralamerika; Einsatz der bereitgestellten Finanzmittel für die Bekämpfung des harmlosen Marihuanaanbaus statt einer Konzentration auf „harte“ Drogen; Reagansche „supply side economics“ statt des Versuchs der Nachfragesteuerung durch Erziehungsprogramme; Gefängnisbauprogramme statt medizinischer Betreuung; Kriminalisierung statt Legalisierung. „Die Drogenpolitik der US-Regierung“, so faßt es der Journalist Alexander Cockburn im 'Wall Street Journal‘ zusammen, „läuft auf einen Gefängnisstaat für das schwarze Amerika und ein Vietnam für die Andenregion hinaus.“
Der Drogenkrieg
eine vorläufige Bilanz
Selbst an den eigenen Zielsetzungen gemessen, so beschränkt und falsch sie auch sein mögen, wird der Drogenkrieg allem Anschein nach auch diesmal wieder mit einer Niederlage enden. In Washington, wo der Bennett-Plan vor seiner nationalen Verkündung bereits im April als Pilotprojekt gestartet wurde, hat sich seither kaum etwas bewegt. Bennett gelang es in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung nicht einmal, in Washington einen Standort für ein neues Gefängnis zu finden, ohne dessen zusätzliche Kapazitäten die verhafteten Drogendealer und Konsumenten gleich wieder freigelassen werden müssen. „Die Realität holt die Rhetorik im Drogenkrieg der Hauptstadt ein“, kommentierte die 'Washington Post‘ Bennetts Mißerfolg. Und der demokratische Vorsitzende des „Ausschusses für Drogenmißbrauch und Kontrolle“ im Repräsentantenhaus, Charles Rangel, der Bennetts Bemühungen im April noch unterstützt hatte, nannte den Drogenkrieg in Washington „eine kolossale Schlappe“.
Auf nationaler Ebene sieht es nicht besser aus. Der Feldzug ist von Koordinationsproblemen zwischen den 58 nationalen Behörden geplagt, von denen die Antidrogenmaßnahmen mit lokalen und regionalen Stellen abgestimmt werden sollen. Die Experten vor Ort, in Polizei und Verwaltung, beschweren sich, daß die zusätzlichen Mittel für eine verbesserte Drogenbekämpfung völlig unzureichend seien. Drogenzar Bennett machte sich angesichts der mangelnden Erfolgsmeldungen Ende November in einem frustrierten Rundschlag Luft. Er sei „wütend“ über die Beamten, die in ihren Bundesstaaten nicht schnell genug neue Gefängnisse bauen könnten; über Universitätsverwaltungen, die den Marihuanakonsum von Studenten ungestraft durchgehen ließen; und über „Intellektuelle“, die den Einwand brächten, daß der Drogenkrieg die Bürgerrechte bedrohe. Die Gefährdung und das gelegentliche Außerkraftsetzen von Bürgerrechten scheint denn auch das bisher einzige Ergebnis des Bennett-Plans. Daß ihr eine Niederlage im Drogenkrieg politisch schaden oder gar alternative Lösungsmöglichkeiten der Drogenproblematik politikfähig machen könnte, braucht die Bush-Administration allerdings kaum zu befürchten.
Eine Verlagerung des Drogenkriegsschauplatzes nach Zentralamerika zur Ablenkung von den Mißerfolgen an der heimatlichen Drogenfront, so zeigen die letzten Wochen, ist jederzeit möglich. Und auch daheim gäbe es immer noch Wege, einem endgültigen Fehlschlagen des Bennett-Planes politisch zu begegnen. „Die können am Ende immer noch sagen“, so gibt sich der Vorsitzende der „American Civil Liberties Union“, Ira Glasser schon heute besorgt, „daß sie es mit dem Drogenkrieg ja noch gar nicht richtig versucht haben.“
(Der letzte Absatz des Kapitels „Professionalisierung...“ und das Kapitel „Drogenhandel...“ stammen von Stefan Schaaf.)
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