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Das Dilemma der Christdemokraten in der DDR  ■ K O M M E N T A R E

Es wächst zusammen, was zusammen gehört - dieser schöne Satz von Willy Brandt wird ja von unseren politischen Flachdenkern gemeinhin als „deutschlandpolitische Aussage“ verstanden. In Wahrheit ist es ein Orakel, und Brandts Formulierungskunst geht eher auf die vulkanischen Dämpfe von Delphi als auf die Klarsichtmappen des SPD-Präsidiums zurück. Der Satz sagt ja nicht, daß das zusammengehört, was jetzt zusammenwächst, sondern stellt den Anspruch, daß nur das zusammenwachsen soll, was zusammengehört. Der Anschluß der SPD (Ost) an die SPD (West) hat diese Ambivalenz keineswegs aufgelöst, sondern nur erneuert. In beiden SPDs ist die Frage eher virulenter geworden, ob sie so zusammengehören, wie sie jetzt im Namen des deutsch -deutschen Wahlkampfes zusammenwachsen sollen.

Bei den CDUs führt die Frage zu einem Eiertanz zwischen Profilneurose und Torschlußpanik. Natürlich sollte - in den Augen der CDU (West) nur die einwandfrei glaubwürdige Opposition mit ihr zusammengehören, also auch zusammenwachsen. Allerdings stehen da gleich drei Gruppierungen zur Auswahl, der „Demokratische Aufbruch“ und die „CSU/FDU“, Gruppierungen mit anerkannt zweifelhaften Wahlchancen. Doch die CDU (West) muß in der DDR auch die Wahl gewinnen, weil ja schon die SPD (West) mit der SPD (Ost) auf Siegeskurs ist. Bietet sich also die CDU (Ost) an: Sie hat den Apparat und die Zeitungen. Aber sie hat keine Glaubwürdigkeit. Die CDU (Ost) hat natürlich begriffen, daß man sich aufs schnelle am ehesten von der CDU (West) die Glaubwürdigkeit leiht. Dann hätte sie sich außerdem als Wiedervereinigungspartei qualifiziert und sich den prominentesten Wahlkampfredner gesichert: Kanzler Kohl in allen Westmedien. Aber je mehr das zusammenwächst, desto dringender wird die Frage, ob das auch zusammengehört.

CDU (Ost) als Schwesterpartei von CDU (West) würde praktisch die CDU (West) in die Koalitionsregierung Modrow versetzen. Das könnte wiederum gar die Glaubwürdigkeit der CDU (West) gefährden. Der Generalsekretär Martin Kirchner CDU (Ost), von Generalsekretär Volker Rühe CDU (West) handverlesen, hatte denn auch jetzt den Austritt aus der Regierung Modrow verkündet, als Stimme seines Herrn. Sein Herr setzte auch gleich noch einmal nach in einem Rundfunkinterview, mit einem ultimativen Ton, der stark an Erpressung erinnert. Die Begründung von Kirchner, SED und CDU verhielten sich wie Feuer und Wasser, überzeugt nun allerdings gar nicht. Sie erklärt nicht, warum die Elemente so spät in Gegensatz geraten. Das CDU-Präsidium (Ost) hat denn auch den Generalsekretär erst einmal zurückgepfiffen. Ibrahim Böhme von der SPD (Ost) hat die taktische Chance gesehen und den runden Tisch genutzt und die CDU (Ost) zur weiteren Mitarbeit in der Regierung Modrow ermahnt, damit die DDR nicht destabilisiert werde.

Das ist das Dilemma: scheidet die CDU (Ost) jetzt aus der Regierung aus - um als Oppositionspartei glaubwürdig zu sein, sich die Glaubwürdigkeit von Bonn zu leihen - dann verliert sie an Glaubwürdigkeit. Jeder wird das Wahlkampfmanöver, das Hineinregieren der CDU (West) in den DDR-Wahlkampf erkennen. Zudem: ein Scheitern von Modrow, dem niemand in der DDR die Kompetenz abspricht, wäre keineswegs ein Gewinn der CDU (Ost). Andererseits: bleibt sie in der Regierung, hat sie kein Profil, keine Westhilfe. Unterwirft die CDU (West) die CDU (Ost) ihrem Diktat, erledigt sie deren Selbstständigkeit vor den Augen der Öffentlichkeit. Kohl tritt damit in der DDR direkt gegen Modrow an und könnte folglich gegen die SPD (Ost), also gegen die SPD (West) verlieren. Alles klar? Es wächst eben zusammen, was zusammengehört, oder auch umgekehrt. Schade nur, daß Orakelsprüche keine übergeordnete Instanz haben.

Klaus Hartung