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Kohl meets Kohl & Pinkel

■ Demonstationen gegen Wiedervereinigung und Kulinarisch-Metaphorisches zur Eiswette

„Die Fulda hüben und die Werra drüben vereinigen sich zu einem Fluß, der schließlich in die Nordsee mündet.“ Derartig brilliant formulierte Metaphern für deutsch-deutsch -europäische Perspektiven kann in der Bundesrepublik nur einer: Bundeskanzler Helmut Kohl. Der war am Samstag nachmittag zum großen Vergnügen einer 700köpfigen Kohl-und Pinkelrunde und zum ebenso großen Mißfallen einer ebenso großen Schar von Demonstranten in Bremen eingefallen, um zu tun, was des Kanzlers Lieblingsbeschäftigungen sind: Schmazzen und Schwäzzen.

„Kohl bläht, aber ernährt seinen Mann“, hatte der Kanzler zur großen Freude des Auditoriums seine Rede auf dem 161. Stiftungsfest der „Eiswette von 1829“ begonnen und dann mit

Altbekanntem zur Lage der Nation weitergemacht. „Historische Chancen“ wurden beschrieben, die „Sorge vor weiterem Aderlaß“ der DDR und das Begehren nach „neuen wirtschaftspolitischen Grundsätzen“ in der DDR. Kohl, Pinkel und geistige Getränke vor Augen gab der Kanzler sich großmütig, aber bescheiden: „Wir wollen unsere Vorstellungen niemandem aufdrängen.“

Eben das glauben die etwa 700 Demonstranten, die am Vormittag durch die Innenstadt zogen, überhaupt nicht. „Für die Souveränität der DDR“ stand auf einem einsam am Hauptbahnhof zurückgebliebenen Schild. Und auf den Transparenten, die im Zug mitgeführt wurden, waren so präzise Perspektiven wie zum Beispiel : „Anarchie statt Deutschland“ zu lesen. Andere wußten zu vermel

den: „Die Fehler der SED sind nicht das Ende der Idee des Kommunismus.“ Und noch welche wußten wenigstens genau, was sie nicht wollen: eine „Kohlonie DDR“.

Derweil mühte sich der Redner von den Jungsozialisten um die direkte Ansprache an das Bremer Volk: „Viele von Ihnen werden für die Wiedervereinigung sein“, mutmaßte er und fragte sich dann persönlich: „Warum?“ Schließlich hätten „wir“ genügend eigene Probleme mit Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und Umwelt.

Eine zweite Demonstration, kleiner aber ebenfalls zum falschen Zeitpunkt, fand dann gegen 15.00 Uhr vor Kohls Tatort statt. Auch hier der Tenor: Gegen Wiedervereinigung. Als der Kanzler dann aber um 16.00 Uhr bei der

Glocke eintraf, hatte die kleine Schar der Jubler die Szenerie fest im Griff.

Eingedenk anderer Bremer Demonstrationserfahrungen muß Kohl der freundliche Empfang so gefreut haben, daß er in seiner Rede für eine knappe Minute auf Bremen zu sprechen kam. Sein Credo: „Ich bin sicher, daß Bremen eine große Zukunft vor sich hat.“ Warum? „Mit dem europäischen Binnenmarkt tun sich gerade für diese Stadt neue Perspektiven auf.“ Tischnachbar Klaus Wedemeier mußte sich derweil mit Braunkohl zufrieden geben. Die Gästerede blieb Vorgänger Hans Koschnick vorbehalten.

Einziges handfestes Ergebnis der Völlerei: 176.300 Mark für die Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger.

hbk

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