: „Hurra, hurra, die Stasi, die ist da“
■ FC Union gewinnt in Ost-Berlin eigenes Hallenturnier / Hertha- und Union-Fans glänzten mit ausländerfeindlichem und großdeutschem Gebrüll
„Verstehen kann ich die Leute schon, die meisten wissen ja nicht, daß wir Spieler nie etwas mit der Staatssicherheit zu tun hatten“, sagt Thomas Doll vom BFC Dynamo und lächelt dankbar, als ihn ein Zehnjähriger um ein Autogramm bittet und dabei bemerkt: „Da konntet ihr doch nichts dafür.“ Die meisten Zuschauer hatten allerdings weniger Verständnis für das Auftreten der Kicker vom BFC, bis vor kurzem noch Club der Stasi. „Stasi raus“ und „Stasi-Schweine“ waren noch die mildesten Verbalinjurien, die sie sich bei ihrem Spießrutenlaufen ins Finale anhören mußten.
Dabei hätte gerade der BFC und in dessen Reihen vor allem Thomas Doll dem Publikum beim Hallenturnier des 1. FC Union in der Ostberliner Werner-Seelenbinder-Halle, das den für DDR-Verhältnisse geradezu überirdischen Preis von 60 Mark für drei Turniertage bezahlt hatte, am ehesten ein wenig fußballästhetisches Vergnügen bereiten können. Doch Doll, der absolut überragende Akteur auf dem Parkett, konnte tricksen, dribbeln, schießen, daß es eine Lust war, es sprang allenfalls ein schüchternes Klatschen bei besonders spektakulären Toren heraus. Zwölf Treffer schoß er selbst und wurde überlegen Torschützenkönig des Turniers, die übrigen BFC-Tore bereitete er fast alle vor.
Ansonsten gab es eher fußballerische Schonkost. Weder Bohemians Prag und Pogon Sczeczin brachten Herausragendes zustande noch die DDR-Clubs aus Halle, Cottbus, Frankfurt/Oder und Brandenburg. Hertha BSC hielt sich ordentlich, ohne zu glänzen, und belegte den dritten Platz, Blau-Weiß 90 hingegen blamierte sich mit 0:8 Punkten gründlich und sorgte vor allem bei den Pragern für hämisches Gelächter. „Das also ist die berühmte Bundesliga“, grinsten sie, nachdem sie den hilflosen Westberlinern den Kasten vollgehauen hatten.
Wegen der brisanten Mischung von Hertha- und Union-Fans und der befürchteten faschistoiden Exzesse war am runden Tisch kurz zuvor sogar die Forderung laut geworden, die Veranstaltung kurzfristig abzusagen. Schließlich jedoch ging es einigermaßen glimpflich ab. Zwar hatte es am ersten Abend, als Hertha spielfrei war und sich die Fans lieber mit preiswertem Rotkäppchen-Sekt am Getränkestand die Birne zugossen, als die Spiele anzuschauen, jede Menge ausländerfeindliche Parolen und „Deutschland-Gebrüll“ gegeben, aber am Finaltag war es dann doch weniger arg als erwartet.
Stimmung in der Halle gab es hauptsächlich, wenn der BFC gegen Gastgeber Union auf dem Platz stand. Die Zweitligisten wehrten sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, kämpften wie die Berserker, bolzten wild drauflos und ließen das Trikot von Thomas Doll niemals aus den Fingern. Auf ihren Hemden forderten sie „Umweltschutz“, die Schienbeine der Dynamo-Spieler rechneten sie aber eindeutig nicht zur Umwelt. Die Schiedsrichter wiederum wollten offensichtlich gutmachen, daß sie den BFC auf höheren Befehl jahrelang zum Meister gepfiffen hatten, und so mußte besonders Doll mächtig leiden. „Das macht wirklich keinen Spaß mehr“, lautete sein Kommentar zum Lokalderby.
Im Endrundenspiel behielt Dynamo noch mit 3:2 die Oberhand, im Finale aber siegte in tosender Halle standesgemäß der Gastgeber, obwohl sich unter den 4.400 Zuschauern inzwischen ein Grüpplein von BFC-Fans eingefunden hatte, das trotzig skandierte: „Hurra, hurra, die Stasi, die ist da.“ Nach Verlängerung hieß es 5:4 für Union.
„Eine feine Sache“, nannte Thomas Doll den Hallenfußball trotz aller Schmähungen. Für ihn ist der Leidensweg als „Stasi-Schwein“ ohnehin spätestens nach dieser Saison beendet. Wie er der taz verriet, zieht es ihn wie seinen Vereinskollegen Andreas Thom in die Bundesliga, „möglichst irgendwohin, wo es viele Zuschauer gibt“. So wird den Berlinern wohl das Vergnügen entgehen, den ballgewandten Fußballer im nächsten Sommer auf Berliner Kanälen in seinem neuen Schlauchboot anzutreffen. Dieses nämlich verehrten die „VEB Gummiwerke“ dem besten Feldspieler des Turniers.
Matti Lieske
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