: Abschied vom Feminismus-betr.: "Das ewige Jammern lähmt und schreckt ab", "Männerbund mit Frauenquote", taz vom 15.1.90
betr.: „Das ewige Jammern lähmt und schreckt ab“ von Claudia Pinl, „Männerbund mit Frauenquote“ von Regina Michalik,
taz vom 15.1.90
Claudia Pinl ist zuzustimmen: Das ewige Jammern über das angeblich harte Brot der Frauen bei den Grünen lähmt und schreckt ab. Die weinerliche Selbstbeschau ist Ausdruck eines verengten Blickes und blockiert außengerichtete Aktivitäten. (...)
Zehn Jahre nach der Gründung der Grünen sollten neben den Schwierigkeiten auch die großen Erfolge der Feministinnen in dieser Partei hervorgehoben werden: Zwei Drittel der SprecherInnen in Bundesvorstand und Bundestagsfraktion sind per Institution Frauen, mehr weibliche als männliche Abgeordnete im Bundestag, Quotierung, Feminat, Frauenliste in Hamburg... Und dies soll alles in einem „Männerbund“ geschehen sein? Sie sollte sich mal die patriarchalischen Realitäten in wirklichen Männerbünden genauer ansehen - in Fabriken und Verwaltungen beispielsweise.
Verglichen mit anderen Parteien sind die Grünen nach wie vor mit großem Abstand die Avantgarde in Sachen Frauenemanzipation! Das Lamento feministischer Maixmalistinnen über die Grünen ist erklärungsbedürftig. Es hat meines Erachtens zwei Ursachen:
Es hängt erstens damit zusammen, daß grüne Feminstinnen in einem überdurchschnittlichen Maße sehr jung sind. Sie kommen sogar über die Schule und die Uni ohne beruflichen Hintergrund direkt in hohe Funktionen der Partei. Sie sind noch nicht einmal 30 Jahre alt und sprechen unter Umständen für die Bundespartei. Ihr sozialer Horizont ist begrenzt. Sie kennen viele gesellschaftliche Bereiche nur von kurzfristigen Expeditionen. Es fehlt ihnen schlicht an praktischer Lebenserfahrung. Sie sind halt noch in ihren Sturm- und Drangjahren. Sie wollen alles möglichst sofort haben. Es fehlt ihnen der lange Atem. Es besteht aber Hoffnung: In acht Jahren werden die Grünen schließlich volljährig.
Der zweite Grund: Manche Feministinnen bei den Grünen sind nützliche Idiotinnen der zumeist männlichen Fundis. Diese betrachten ebenso wie männliche Realos die Frauenfrage eher als Nebenwiderspruch. Das Hauptinteresse der Fundis ist: die Grünen als antikapitalistische Systemopposition, das heißt als „Revolutionsgarde im Wartestand“ zu benutzen. Nachdem die Fundis weitgehend entmachtet sind, verlassen feministische Fundifrauen wie Regina Michalik grollend die Partei und werfen den Grünen vor, ein „Männerbund“ zu sein!
Juliane Schwiers, 57 Jahre, Frankfurt
(...) Was die taz hier an angeblicher Kontroverse bietet, ist selbst schon die Verengung auf die Auseinandersetzung unter den feministischen öko-sozialistischen Frauen. Aber nicht nur die mangelnde Bandbreite der taz ist zu beklagen, viel erschreckender sind die Artikel der beiden selbsternannten Gralshüterinnen „des Feminismus“. Wo Michalik nur Anpassung sehen kann, sehe ich linkes Sektierertrum. (...)
Reale Widersprüche von Frauen, zum Beispiel zwischen Recht auf Arbeit und Wunsch nach familienfreundlicher Teilzeitarbeit für einen gewissen Zeitraum, zwischen Autonomie und privaten (Frauen-)Freundschaften, zwischen Erwerbsarbeit und Karrierewunsch, zwischen Zeit für sich selbst und Zeit für andere zu haben, werden von Michalik nicht wahrgenommen, sondern es wird in altlinker K -Gruppenmentalität das objektive Interesse der Frauen beschworen.
Nun steht linke Politik immer im Widerspruch zwischen der Einsicht einer (privilegierten) Minderheit und real existierenden Mehrheiten - und hier an einer Verlagerung zu arbeiten ist für mich die Aufgabe einer aufklärenden Politik im Sinne von Handlungsspielräumen von Menschen zu erweitern
-aber R.Michalik sieht die Frauen mal wieder nur als Opfer und angepaßte Mitläuferinnen, aber nicht als Täterinnen und (zumindest partiell) selbstbewußte Frauen.
Im Parlament und der grünen Partei als Frau Politik zu machen ist oft sehr anstrengend, weil frau immer noch um ihre Anerkennung als politisch ernstzunehmende Gegnerin kämpfen muß, aber es macht auch Spaß, sich für Inhalte und gegen patriarchalische Strukturen einzusetzen. Überall in der Partei arbeiten Frauen, bezahlt und unbezahlt, das tun sie oft mit spezifischen Interessen (gegen Müllverbrennung, für die Streichung des § 218, gegen das Waldsterben, für ein besseres soziales Netz), sie handeln als Frauen mit verschiedenen Interessen, mit sehr unterschiedlichen Lebensgeschichten (ledig, mit Kindern, ohne Kinder, verheiratet, mit mehreren Freunden, Oma usw.). Aus dieser Vielfalt heraus nach gemeinsamen Aktivitäten zu suchen, ist doch immer noch das Interessante am Zusammenarbeiten mit grünen Frauen und trotz allem in der grünen Partei.
Euer beleidigtes, sektiererisches, den wahren Feminismus gepachtet habendes Verhalten ist echt nervtötend. Es liegt auch an Euch, daß nur noch so wenig Frauen zum feministischen Ratschlag kommen. Nicht nur die Männer haben Frauen rausgedrängt, auch Ihr habt Frauen aus den Frauenzusammenhängen der grünen Partei herausgeekelt, zum Beispiel mich.
Helga Trüpel, Bremen
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