: Kein Datenschutz für Trabrennpferde
■ Schöne neue Welt: Der Mikrochip im Pferdehals / Mit einer neuen Identifikationstechnologie soll es dem Wettbetrug an den Kragen gehen / Big Brother läßt grüßen
Ob wir auch zu den Pferden gehen können? - Der Maestro verneint telefonisch. Das sei zur Zeit leider nicht möglich. „Die erste Versuchsreihe ist bereits abgeschlossen“, und an Zeit mangele es ihm derzeit sowieso. Also erst mal Trockenschwimmen: Der Professor erzählt im Büro von seiner jüngsten Erfindung, einer Angelegenheit, die die Pferderennsport-Welt reformieren wird.
Der Professor ist Traberfan, und zwar ein eingeschworener, „seit rund 35 Jahren“. Er kennt die Szene, kennt viele Tiere beim Namen, weiß von Züchtern und Zockern - und deren Problemen mit dem großen Geschäft. Drum hat er den Chip entwickelt, ein Teil maximalster Technik auf geringstem Raum, einen Mikrochip also.
Sein Ziel ist die „sichere Identifizierung“, die „schnell, sauber und möglichst schmerzfrei“ sein soll. Professor Konermann, Veterinär mit Festanstellung beim Institut für Tiergesundheit und Milchhygiene der Landwirtschaftskammer Westfalen-Lippe, ist überzeugt, daß nur ein Chip verhindern kann - „Wenn überhaupt, dann gegen bestimmte kriminelle Energien sind wir doch letztlich machtlos“ -, was auf deutschen Turfs angeblich schon lange gang und gäbe ist: das Betrügen nach Strich und Faden.
Und das geht so: Ein Pferd wird gemeldet, von dem sich keiner viel verspricht; nicht der Besitzer, nicht der Fahrer im Sulky hintenan und erst recht nicht die versierten Wetter. Zur großen Überraschung aller Anwesenden präsentiert sich der Vierbeiner plötzlich in Bestform, überholt seine trabenden Kollegen mühelos und gewinnt, im Wettbüro noch als Niete gehandelt, mit entsprechend günstiger Quote.
Gefälschte Papiere
Der glückliche Besitzer läßt sich hernach attestieren, daß Doping ausgeschlossen werden kann, und zieht mit dem neuen Crack glücklich heimwärts, in den eigenen Rennstall oder zur eigenen Zuchtstation. Für die besitzt er fortan ein neues Aushängeschild. Falls ihm keiner draufkommt auf den Schwindel. Der Gaul war nämlich nicht, wofür ihn alle hielten. Er war ein anderer. Kurz: Die Pferde wurden vertauscht.
Diese Methode, so meinen Experten, die es wissen müssen, gilt als wenig erfolgversprechend. Zu groß sei das Risiko, entdeckt zu werden. Und selbst Meister Konermann meint lakonisch: „Wer damit reich wird, wird niemals wieder arm.“ Besser geht es so: Ein Pferd tritt an zum Start, diesmal unter richtigem Namen. Gefälscht sind nur die Papiere, die aus dem, sagen wir, real-existierenden Vierjährigen einen Dreijährigen machen oder gar einen zweijährigen Neuling. Dieser Neuling nun, in der Tat ein wahrer Champ, schlägt seine vermeintlichen Altersgenossen regelmäßig um Längen. Die Fachwelt staunt - und kommt nur selten auf die Idee, die Altersangabe zu überprüfen. Das jedenfalls glaubt der Sprecher des nordwestdeutschen Zentralverbands für Traberzucht und -Rennen Wilhelm Hülsken-Wöstmann: „Zwar kann eine Altersbestimmung bei Trabern bis auf etwa ein halbes Jahr genau erfolgen, aber es muß ja erst einmal jemand draufkommen, daß da gepfuscht worden ist.“
Braune ohne Abzeichen
Jene zweite Methode brachte den Haltern der Wunderstute „Singing Clöving“ immerhin fast 850.000 Märker ein. Sie soll, wie es heißt, eine Karriere lang in der falschen Altersklasse getrabt sein - auf den Kilometer bis zu einer Minute und zwölfeinhalb Sekunden schnell.
Erleichtert wird die Pfuscherei durch den Umstand, daß die meisten Trabrennpferde, mindestens für den flüchtigen Betrachter, einander gleichen wie das sprichwörtliche Ei dem anderen. Fast ausnahmslos bevölkern „Braune ohne Abzeichen“ die bundesdeutschen Kreisbahnen: monochrome Wesen ohne Blessen oder andere weiße Haarstellen. Zurückzuführen ist das Einheitsfell auf „Zuchtbestrebungen“, die sich an branchenbekannten, „erfolgreichen Linien“ orientieren - und die werden eben, der Zufall will's, von braunen Hengsten dominiert und nicht von Schimmeln.
Anders als etwa in den USA oder auch in der deutschen Warmblutzucht, der exportfreudigen Zulieferindustrie für den Dressur- und Springsport, verzichten bundesdeutsche Traberkreuzer auf das traditionelle und schmerzhafte Einbrennen von Erkennungszeichen und auf das Tätowieren von Unterlippe und Schweifrübe. Üblich, seit Anfang der achtziger Jahre, ist hingegen die Identifizierung über die Blutgruppen (im Volksmaul: Vaterschaftstest). Der Verband schreibt sie „zwingend“ vor. Mit anderen Worten: Rösser mit Paß ohne Blutgruppenformel werden von hiesigen Rennleitungen gar nicht erst akzeptiert.
Doch all das reicht nicht aus, findet Veterinär Konermann, und er weiß sich mit seiner Erkenntnis in bester Gesellschaft des (alles entscheidenden) Hauptverbandes HVT. Spätestens seit „Singing Clöving“, dem schnellsten bundesrepublikanischen Zweitakter seit Generationen, ist der einst gute Ruf der Pferdesportler ruiniert und die Sehnsucht nach neuen Sicherheitssystemen groß.
Da nützt es auch nichts, daß vor Ort, bei den Praktikern im platten Münsterland zum Beispiel, wo die Orte unbeschreibliche Namen tragen und die einfarbigen Traber hinter roten Klinkermauern wohnen, allenthalben Skepsis herrscht. „Ob ich das bei meinen Pferden machen ließe? Also, ich weiß nicht. Wir haben doch die Blutuntersuchung.“
Nein, es nützt nichts: Wenn der Verband sein Plazet erst publik macht (Hülsken-Wöstmann: „In der trabersportlichen Öffentlichkeit ist davon noch kaum etwas bekannt“), trifft es auch den letzten Winkel. Die bundesweite Einführung des glasummantelten Chips („Responder“) ist beschlossen, die europaweite bereits in Planung. Zudem, preist Konermann, wird der Responder, geht er bald in Serie, viel billiger sein als alle vergleichbaren Maßnahmen. Der Materialaufwand ist nicht eben groß, das Injizieren - per Implantiergerät in den Hals des Pferdes - unkompliziert und auch von Laien erlernbar.
„Denkbar einfach“ soll denn auch die Funktionsweise des kompletten Erfassungssystems sein. Sitzt der Responder erst fest im Pferdehals, ist mit ihm auch eine „Lebensnummer“ gespeichert - „für immer und ewig“. Mit Hilfe eines Lesegeräts kann jene „Lebensnummer“, die die wichtigsten Daten des Renntiers enthält, zugleich gelesen und gespeichert werden. „Dann braucht man nur noch den Detektor in Halsnähe des Pferdes zu halten, und schon stehen die erforderlichen Daten zur Verfügung.“ Das geht so schnell, weil das Lesegerät mit einer normierten Schnittstelle (RS 232-Anschluß) versehen ist und damit die Verbindung über einen PC oder ein Modem zum Zentralcomputer des Hauptverbandes hergestellt werden kann.
„Der Rest ist eigentlich nur noch ein Problem der Software -Entwicklung“, hofft der westfälische Forscher, der gern und viel von seinem „Faible für die Nutzung von EDV-gestützten Systemen als Informationssysteme“ spricht. Er freut sich über die positiven Ergebnisse der ersten mehrmonatigen Reihe von Versuchen an rund zwanzig Trabern - und über die gute Zusammenarbeit mit der niederländischen Firma NEDAP, die das tierische Datenerfassungsunternehmen unterstützt hat.
15 Jahre
Identifikationserfahrung
NEDAP (Eigenwerbung: „15 Jahre Identifikationserfahrung Heute werden Millionen Personen, Tiere und Güter täglich fehlerlos von einem NEDAP-Identifikationssystem erkannt“) hat gute Gründe für so viel Engagement. „Elektronische Codeträger“ stehen im Mittelpunkt ihrer Forschungs- und Verkaufstätigkeit, bei der die Kollegen von Philips mit „äußerst zuverlässigen Kleinkomponenten in großen Stückzahlen“ hilfreich zur Hand gehen. Große Stückzahlen will man auch in Zukunft erreichen; erstmals im tiersportlichen, statt wie bisher zumeist im „fleischerzeugenden“ Bereich, und zum ersten Mal mit einem Chip, der nicht mehr am, sondern im Körper getragen wird.
Während die trabersportliche Öffentlichkeit noch halblaut darüber nachdenkt, ob es denn wirklich so schnell gehen muß mit der neuen Sicherheit (Hülsken-Wöstmann vom Zentralverband: „Da wird auch manchmal mehr von Pfusch gequatscht, als nachher nachgewiesen werden kann, und außerdem wäre der Fall Singing Clöving doch auch mit dem Chip nicht zu vermeiden gewesen...“), kündet NEDAPs PR -Abteilung bereits vollmundig im Prospekt: „Die Möglichkeit des Mißbrauches gehört damit der Vergangenheit an.“
Wer aber den Professor nach zukünftigen Möglichkeiten des Mißbrauchs seiner Erfindung fragt - die Implantierung in den menschlichen Körper beispielsweise -, bekommt die Oppenheimersche Antwort: Die Gesellschaft wird's schon kontrollieren.
-bibi
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