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Beinahe-GAU im AKW bei Greifswald

■ DDR soll 1976 schweren Störfall im AKW Lubim verschwiegen haben berichtet der 'Spiegel‘ / Auch Töpfer wurde jetzt nicht informiert / Kurzschluß setzte Kühlpumpen außer Betrieb

Hamburg (ap) - Die DDR soll nach einem Bericht des 'Spiegel‘ einen schweren Störfall im Atomkraftwerk Lubim bei Greifswald verschwiegen haben. Bei dem Störfall aus dem Jahr 1976, über den auch bei den jüngsten Gesprächen von Bundesumweltminister Klaus Töpfer in Ost-Berlin noch nicht gesprochen worden sei, habe nur knapp eine Katastrophe vom Ausmaß der Kernschmelze in Tschernobyl verhindert werden können.

Während des jüngsten DDR-Besuchs von Töpfer hätten Ostberliner Stellen zwar freimütig eingeräumt, daß es in der Vergangenheit auch in der DDR sehr wohl zu Störfällen in den Atomkraftwerken des Landes gekommen sei. Mit keinem Wort seien sie aber auf den Beinahe-GAU (GAU steht für „größter anzunehmender Unfall“) eingegangen. Es sei schon „wie ein Wunder“ gewesen, zitiert 'Der Spiegel‘ einen damals eingesetzten Sicherheitsingenieur, daß nicht weite Teile Nordeuropas radioaktiv verseucht wurden.

Wegen unzulässiger Manipulationen an der Erdungsanlage durch einen Elektromeister war nach Darstellung des Experten ein Kabelnetz der von der Sowjetunion gelieferten Atomkraftanlage vom Typ WWER-40 in Brand geraten. Mehrfach geprüfte Schutzvorrichtungen seien total ausgefallen. Die von Dieselgeneratoren betriebene Notstromanlage, die bei Störfällen die wichtigsten Aggregate wie die Pumpen des Notkühlsystems mit Strom versorgen sollen, hätten versagt. „Auch die Kabel der Notstromversorgung haben gebrannt“, berichtete der Ingenieur.

Funktioniert habe allein die Schnellabschaltung. Höchste Gefahr aber sei weiterhin von der Restwärme von etwa 80 Megawatt ausgegangen. Die Kernschmelze habe gedroht. „Die Zeitbombe tickte“, wird der Ingenieur zitiert. „Nur wenn es gelang, die ungeheure Energie fortlaufend durch Kühlwasser abzuleiten, war die Katastrophe zu vermeiden.“ Sämtliche sechs Pumpen zum Abführen der Wärme im Normalbetrieb des Reaktors seien aber durch den Brand außer Funktion gewesen, und von den zum Notkühlsystem gehörenden weiteren sechs Pumpen hätten sich fünf nicht aktivieren lassen.

„Durch einen reinen Zufall“, war nach Angaben des beteiligten Ingenieurs wegen Instandsetzungsarbeiten die sechste Notpumpe nicht an die Stromversorgung des brennenden BlocksI angeschlossen, sondern auf das Netz des Reaktorblocks II geschaltet. Im Kontrollraum seien alle wichtigen Anzeigegeräte ausgefallen. „Alles war tot“, niemand habe den Zustand des Reaktors genau analysieren können. Stundenlang, so berichtete der Ingenieur weiter, habe man gewartet: „Kommt es zur Kernschmelze, ja oder nein?“ Doch schließlich habe es die Pumpe geschafft.

Unter strenger Geheimhaltung seien - auch unter Armee -Einsatz - die Brandherde gesäubert worden. „BlockI wurde repariert, nach etwa vier Monaten wieder in Betrieb genommen und ist, wie drei weitere zwischen 1973 und 1980 ans Netz gegangene Druckwasserreaktoren sowjetischer Bauart, noch immer im Einsatz.“

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