„Gorbatschow, der Sünder, hat Karabach an die Armenier verkauft“

■ Die türkischen Tageszeitungen 'Milliyet‘ und 'Cumhuriyet‘ veröffentlichten Augenzeugenberichte von aserbaidschanischen Nationalisten aus Baku

Abdaf Abdullahof, Chefredakteur der aserbaidschanischen Zeitschrift 'Yilbiz‘ und Führer der aserbaidschanischen Volksfront, berichtet in der türkischen Tageszeitung 'Milliyet‘ aus Baku:

„Hunderte Lastwagen und Autos transportieren die Verletzten. Die Krankenhäuser sind überfüllt. Die Soldaten schießen auf jeden. Selbst eine Frau, die vom Balkon auf die Straße schaute, ist erschossen worden. Wir haben 367 Tote in den zwei großen Krankenhäusern gezählt. 120 Aserbaidschaner haben sich in der Militärschule eingeschlossen. Die Soldaten wollen keinen entkommen lassen. Alle 120 sollen sterben. Gerade kam eine Nachricht aus zwei Dörfern: 47 Tote in dem einen, 32 in dem anderen Dorf. Wir vermuten, daß es insgesamt 2.000 Tote gegeben hat.

Als ich ins Büro der Volksfront ging, war niemand anwesend. Etibar Mehmetos, einer der Führer der Volksfront, ist am Bein verletzt. Aber er ist immer noch unter dem Volk. Wir verstecken uns, um nicht verhaftet zu werden. Doch die große Verhaftungswelle hat noch nicht eingesetzt. Wir telefonieren von Privatwohnungen. Gott sei Dank sind die Telefonverbindungen noch nicht gekappt.

Überall in Baku wehen schwarze Fahnen. Die Frauen tragen schwarze Kopftücher. An den Autos hängen schwarze Tücher. Vor dem Zentralkomitee, auf dem früheren Lenin- und heutigen Freiheitsplatz, versammelten sich mehrere hunderttausend Menschen. Der russische Kommandant drohte, Gewalt anzuwenden, falls sich die Versammlung nicht auflöse. Obwohl die Frist verstrichen ist, passierte noch nichts. Sie schießen in die Luft und manövrieren mit den Panzern, um den Leuten Angst einzujagen. Mein Haus befindet sich einen Kilometer vom Platz entfernt. Ich habe 43 Panzer gezählt.

Die Plätze von Baku sind voller Menschen. Der Rückzug der russischen Armee, der Rücktritt der Führer der aserbaidschanischen Kommunistischen Partei werden gefordert. Es geht das Gerücht um, daß der aserbaidschanische Parteivorsitzende sich nach Moskau abgesetzt hat.

Es können nicht nur 10.000 Soldaten sein, wie Moskau behauptet. Überall sind Soldaten. Nach unseren Informationen sind 130.000 russische Soldaten in Baku. Die Soldaten stellen eine Besatzungsarmee dar.

1918 hatte die demokratische Republik Aserbaidschan 116.000 Quadratkilometer Land, jetzt sind es nur 86.000 Quadratkilometer. In siebzig Jahren haben die Russen uns dieses Land weggenommen und es den Armeniern gegeben. Wenn wir auch noch Karabach weggeben, werden sich die Armenier demnächst mit Hilfe der Russen Baku einverleiben. Sie werden sagen, es gibt keine aserbaidschanische Nation mehr.

Sie behaupten, die aserbaidschanischen Moslems hätten den Kampf gegen die Christen eröffnet. Aber wir wollen nichts von der christlichen Welt. Gorbatschow will den falschen Eindruck erwecken, die religiösen Kräfte hätten einen Aufstand begonnen, Moslems kämpften gegen Christen.

Die Zukunft Aserbaidschans ist eine unabhängige, freie türkische Republik. Das heißt nicht, daß unsere Innen- und Außenpolitik mit der Politik der Türkei übereinstimmen wird. Die Türkei hat ihre eigenen Grenzen wie wir auch. Zwei Drittel unseres Landes liegen im Iran, ein Drittel in der Sowjetunion. Ich glaube daran, daß es zusammenwachsen wird und eine aserbaidschanisch-türkische Republik, eine demokratische Republik gegründet wird. Schließlich gibt es auch über 16 arabische Staaten mit eigener Innen- und Außenpolitik.

Der bekannte aserbaidschanische Dichter Bahtiyar Vakapzabe telefonierte erregt und mit weinerlichen Ton mit der linksliberalen Tageszeitung 'Cumhuriyet‘:

„Die Russen sind in Baku. Die Unsrigen kämpfen mit der russischen Armee. Zitieren Sie mich bitte: Gorbatschow ist ein Sünder. Mit Panzern und Maschinengewehren massakrieren sie das Volk. Frauen und Kinder sind unter den Toten. Ich schrie vor unserer Gemeinde: Ich kenne keine Kommunistische Partei mehr, ich trete aus. Ein Beifallssturm brach aus. Gegen die Armenier in Karabach haben die Russen so etwas nicht gemacht. Gegen uns marschieren sie ein. Gorbatschow hat Karabach an die Armenier verkauft und an meinem Volk ein Blutbad angerichtet.“

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