Umweltressort will ökologische Stadtentwicklung erstreiten

■ Gute Absichten in schweren Zeiten: Trotz Riesenbauprogramm soll Ökologie nicht leiden

16.000 neue Wohnungen innerhalb der nächsten zehn Jahre, dazu der gierige Blick des Wirtschaftssenators auf neue Flächen für Gewerbe und Industrie: Die neugeschaffene Abteilung für Stadtökologie bei der Senatorin für Umweltschutz hat noch gar nicht so recht mit der Arbeit begonnen, da liegen die Konfliktstoffe schon in Hülle und Fülle auf dem Tisch. Gestern lud der Chef der Behörde, Senatsdirektor Jürgen Lüthge, die Presse, um ein paar Duftmarken für die künftigen Leitlinien Bremer Stadtent

wicklungspolitik zu setzen.

Mitgebracht hatte er unter anderem Sunke Herlyn und der wiederum ein dickes Papier mit dem Titel: „Ökologische Stadtentwicklung“. Der frühere Universitätsplaner Herlyn, später zuständig für Stadtteilkultur beim Senator für Bildung, Wissenschaft und Kunst, ist Leiter der neuen Abteilung, in der künftig 16 MitarbeiterInnen planen sollen, wo in Bremen was gebaut werden darf. Das neue Amt ist ein kleiner Kompromiß zwischen den Bau- und den Umweltpolitikern,

der nach langem, zähen Gerangel vor einem Jahr beschlossen wurde.

„Die Version einer menschlichen Stadt hat sich trotz großer Anstrengungen des Umweltschutzes bislang nur ansatzweise realisieren lassen“, schreibt Herlyn in seiner Standortbestimmung. Und Lüthge zu den Gründen dafür: „Alte stadtplanerische Tugenden wurden vergessen.“ Folge: In der Innenstadt wachsen „Kathedralenbauten“, postmoderne Hotels, Kaufhäuser und auch Museen, die Stadtquartiere

in den Außenbereichen dagegen verslumen. Stadtklima, Tier und Pflanzenschutz aber auch das soziale Umfeld spielen, grade wenn der Problemdruck wächst, nur noch eine untergeordnete Rolle.

Zum Beispiel der Problemdruck Wohnraum: 16.000 Wohnungen, so hat es der Senat in der vergangenen Woche beschlossen, sollen bis zum Ende des Jahrzehntes gebaut werden. Der gültige Flächennutzungsplan aber läßt nur noch etwa 10.000 Wohneinheiten zu. Aber, und da hat Lüthge Konsens mit den Kollegen

aus den anderen Ressorts, auch ökologische Stadtpolitik muß ausreichend Wohnraum zu vernünftigen Preisen ermöglichen, ohne dabei „den großen Hammer rauszuholen“ (Lüthge). Ein großer Hammer, wie es zum Beispiel das Neue Heimat Musterbauprojekt Osterholz-Tenver für Lüthge ist. „Das ist Stadtentwicklung, wie sie nie hätte sein dürfen.“ Stadtentwicklung, die in etwas reduziertem Umfang von einigen Bremer Interessenvertretern aus Wirtschaft und Politik nach wie vor für denkbar gehalten wird. Drei Tage mußte Lüdtge immerhin im Kollegenkreis darum ringen, daß nicht mit der Entscheidung wieviele Wohnungen gebaut werden sollen, auch gleich die Baugebiete festgelegt wurden. So hat das neue Amt bis zum Sommer Zeit zu beweisen, daß Flächenverbrauch und ökologische Stadtentwicklung zu von den Senatskollegen akzeptierten Preisen vereinbar sind. Lüthges Argument für ökologisch und sozial hohe Standards: Es sei längst erwiesen, daß Hochhausbauten wie Tenever vielleicht kurzfristig billiger, insgesamt wegen der hohen sozialen Folgelasten die teureren Lösungen seien.

Ab Mittwoch kann Lüthge ver

suchen, für die Bremer Stadtplanungstheorie reichlich europäische Kollegen zu begeistern. Für drei Tage darf Bremen sich nämlich dann rühmen, das Zentrum der europäischen Stadtplanung zu sein. Dann findet im Rathaus die europäische Fachtagung „Umwelt und Stadtentwicklung Perspektiven einer konzertierten Aktion der Gemeinschaft statt.“ Eine ähnliche Konferenz fand im Dezember in Avignon statt, Bremen bekam den Zuschlag für Nordeuropa. Die Frage, ob sich denn die viele Arbeit, die in die Konferenzvorbereitung gesteckt werden mußte auch gelohnt hat, ist für Lüdtge bereits beantwortet, mit Ja: Hilfreich für die Diskussion in Bremen werde die Tagung sein und umgekehrt Bremen bei der EG bekannt machen. Angesichts der großen Zahl von EG-Spitzenbeamten, Bürgermeistern und Professoren aus zahlreichen Ländern schwärmt Lüdtge: „Das ist die bedeutendste Tagung, die wir in diesem Bereich je in Bremen hatten.“ Seinen Wunsch an die Drei-Tage-Konferenz könnte er auch gleich seinen neuen Kollegen Stadtökologen als Tip auf Schmuckpapier schreiben: „Weg von den Lösungen in luftleeren Räumen.“

hbk