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DIE SICHTBARE VORSTELLUNG

■ Zwei Ausstellungen zum 80. Geburtstag des Bühnenbildners Willi Schmidt

Der Generalintendant unserer Staatlichen Schauspielbühnen Berlins, Herr Heribert Sasse, versteckt im Katalog zur Ausstellung einen bemerkenswerten Satz, dessen Zweideutigkeit sein unsicheres Leben als Berliner Theatermanager recht eindeutig umreißt. Zwischen die Würdigung und den Geburtstagsgruß für den Bühnenbildner, Regisseur und Theaterprofessor Willi Schmidt, klemmt Sasse die Erkenntnis: „Alles auf der Bühne ist beweglich, kann groß und klein werden, aufleuchten oder in der Dunkelheit verschwinden.“ Wenn Sasse längst im Bühnenorkus untergetaucht ist, werden seine Sätze noch lange Willi Schmidt in den Ohren sausen. Schmidt ist kein Magier.

Für den gebürtigen Dresdener, der 1930 bei Rochus Gliese den Beruf des Bühnenbildners erlernte und fortan die Szenen für die Volksbühne und am Deutschen Theater Berlin baute, ist der Bühnenraum eher eine Stätte des handwerklichen Experiments, das die Illusion des Theaters mittels physikalischer Gesetze erschafft und nicht über Geisterbeschwörung: Was bleibt ist da und verschwindet nicht im Dunkeln. Wer je eine Inszenierung Sasses länger als zwei Akte ausgehalten hat, weiß, daß sich Kulissen nicht auflösen, sondern zwischen den Aufzügen weggeschleppt werden. Da räumen Bühnenarbeiter rein oder raus, was groß oder klein aussieht. Aufleuchten tun die Dinge nicht vor Aufregung, weil sie gleich dran sind, sondern werden angestrahlt oder erleuchtet. Und blättert man endlich die letzten Hefte der Deutschen Bühnengenossenschaft durch, dann sieht man, daß auf deutschen Bühnen schon gar nichts beweglich zu sein hat, sondern fest sitzen muß und zwar nach DIN-Norm, sonst kriegen Inspizienten Zustände und Ärger mit den Berufsverbänden. Ist etwas lose, dann sieht es nur so aus, tut so als ob, und jeder weiß das. Betrachter, die glauben, daß die Bühne eine zauberhafte Welt des Phantastischen sei, erleben bei Schmidts Bühnenräumen eine Enttäuschung.

Ein „so als ob“ im Theater hat es für den Bühnenbildner Willi Schmidt, dessen Werk die Akademie der Künste und das Kunstamt Wedding ausstellen, nicht zu geben. Seine Szenenräume verwischen nicht die Distanz zwischen Theater und Realität. Vielmehr beharren die Skizzen und Modelle darauf, Bühnenräume vorzustellen, deren Kulissen sich als solche eigenständig materialisieren. Der Raum bleibt nicht ein „ideelles Lokal“ (Goethe), fingiert quasi Echtheit mittels Illusion, sondern wird ein „gemeines Wirkliches“ (ebenso) aus künstlicher Stofflichkeit und Licht.

Schon Mitte der 30er Jahre läßt Schmidt Dekorationen entstehen, akribisch mit Zirkel und Lineal entworfen und aus viel Holz und Pappmache gefertigt, deren Täuschungsgrad gleich Null ist und die zugleich so kunstvoll kitschig aussehen, daß man denkt, das sei mit Absicht so gebaut. Scheinwelten werden errichtet, die so echt wirken wie Theatermunition, ästhetisierte Requisiten voller Unwahrscheinlikeit. Dem gemeinen Raum fügt Schmidt zusätzlich etwas hinzu, das seiner Steigerung dient - durch eine gemalte Wand führt er Türen (Leonce und Lena, Volksbühne 1934), eine Wohnstube macht er unbewohnbar (Im sechsten Stock, Volksbühne 1939) und einen orientalischer Palast verwandelt er zur Fata Morgana einer Jugendstilvilla (Nathan der Weise, Deutsches Theater 1945).

Das „so als ob“ wird von Schmidt zurückgewiesen. Dafür entsteht ein manieriertes Vorstadtpanoptikum mit allen Schikanen irrer Komposition, genagelt, verbrettert, gemalt; eben Handwerk. Es ist, als wehe ein Jahrmarktswind über die Bühne, der aus dem Fundus alles herüberfegt. Ein Puzzle aus Stilen und Kostümen, halbecht und falsch wird in die Entwürfe gestreut, daß die scheinbare Authentizität zum schieren Klimbim aus Nippes und baulichen Zitaten verkommt. Die Bühnenarchitektur verwandelt sich zum Sammelsurium einer Collage, die eher schreckt und verwirrt, als verzaubert. Mit dem Verfahren aber wird die Sache Bühnenraum sichtbar. Bei Schmidt wird Theater gespielt und sonst nichts, mal als Parodie, mal ironisch.

Ist die „Bühne als geistiger Raum“, wie der pathetische Titel der Ausstellungen lautet, erkennbarer Ort für Vorgegaukeltes und Vorgemachtes, so schützen Schmidts Szenenräume vor dem Eindringen der äußeren Realität in das Theater, indem sie das Theater auf Distanz halten. Beinahe expressionistische Kompositionen, wie die Entwürfe zu Camus „Die Gerechten“ (Hebbeltheater 1950) oder Marceaus „Das Ei“ (Schloßparktheater 1958) helfen Illusion und Scheincharakter zu entlarven. Das „Kostüm“ für die Bühnenarchitektur durch Versatzstücke und eine irreale Drapierung der Bühne, verkleidet diese zum Verfremdungseffekt und gibt ihren konstruktiven Charakter preis. Schmidts frühe „geistige Räume“ liegen in eben jener Übertreibung oder dieser Unvollständigkeit, die Illusion nicht zuläßt, weil sie Illusion offen vorgaukelt.

Erst in seinen späten Bühnenbildern, hauptsächlich für die Studiobühne der Akademie und die Ruhrfestspiele entworfen, setzt sich Schmidt mit der Auflösung des Bühnenraums und dem Theater als Ort der Simulation auseinander. Über ein an sichtbaren Schnüren aufgehängtes Dekor, das auf der Bühne wie eine Marionette an ihren Fäden schaukelt, auf rollenden Plattformen und über nackten Rüstungen (In der Strafkolonie, Akademie der Künste 1962) zieht ins Theater der farbige Abglanz mittels eines technischen Instrumentariums ein, das die Sinne nicht verwirrt, sondern die Vorstellung einer Fälschung gibt.

Eingefaßt oder unterteilt werden diese Räume von leichten und durchsichtigen Stoffen, die die geschlossenen Welten der Klassiker aufbrechen lassen und von modernen Autoren besetzt werden. Schmidt benutzt transparente Materialien, die auf Rahmen gespannt und verschiedenartig beleuchtet, alles und nichts sein können. Eine schwebende Architektur ist vorstellbar, ebenso wie deren Auflösung. Konturen können erscheinen und wieder verwischen. Der Raum verwandelt sich und „erscheint“ als eine Folge von Überblendungen, die die Bühne in Totale, Nah- und Großaufnahmen aufteilt. Dialoge mittels Lichtkegel entstehen, deren nahes Beisammensein doch unüberbrückbar bleibt, Auflösungen in Vorder- und Hintergrund werden möglich, wenn eine Folge von Lichtpunkten den Raum definiert.

Doch geht gerade von diesen simulierten Plätzen und variablen Orten eine Stimmung aus, die nichts mit Imagination und Täuschung zu tun hat. Die gesetzte Beleuchtung parzelliert nicht nur den gesamten Bühnenraum in Fragmente, sie stellt ebenso nur noch abstrakte Verbindungen her, in denen der Schauspieler wie der Zuschauer keinen Halt mehr finden.

Die Bühne als geistiger Raum ist für Schmidt nicht allein mit den modernen Dichtern brüchiger und leerer geworden. Mit der Simulation offener Räume durch die Stilisierung der Beleuchtung und einer Offenlegung der Konstruktion wird insgesamt ein neuer, tastender Umgang mit dem Raum erkennbar. Scheint über das Szenenbild zum „Hamlet“ (Residenztheater München 1976) ein Schleier gelegt, der alles Feste ins Geisterhafte aufzulösen droht, so wird beim Entwurf für Goethes „Triumph der Empfindsamkeit“ (Projekt für die Akademie der Künste 1978) schon der Grundriß zum Ort eines verwirrenden, beinahe absurden Labyrinths. Daß Schmidt bei einem Stück des jungen Goethe die verschiedenen Orte auf ein Bild mit optischen Mitteln zusammenziehen wollte, die überall und nirgends Räume schaffen können, die Szene quasi schneidet, unterstreicht seine Nähe zum Film. Doch was dort perfekte Illusion sein kann, ist bei Schmidt nach wie vor sichtbar. Auch hier steht die Technik wahrnehmbar mit auf der Bühne: „Das Szenenlicht wird eine wesentliche stilbestimmende Funktion zu erfüllen haben“, schreibt Schmidt, „deshalb ist ein Beleuchtungsapparat, der eine differenzierte Lichtgestaltung ermöglicht, zu dem auch Projektionen gehören, unerläßlich. Der Wechsel der Schauplätze, den das Stück erfordert, bedingt nicht einen Dekorationswechsel, wohl aber eine unbegrenzte Variabilität des Lichts.“

Daß auch beim Bühnenbildner Willi Schmidt, trotz handwerklicher Perfektion, artifiziellen Experiments und optischer Simulation, im Theater die Schauspieler seine Arbeit wie imaginäre Götter begleiten, zeigen nicht nur seine puppenhaften Figurinen. Der eigentliche Raum, schreibt Schmidt in seinen „Zufälligen Notizen“, entsteht erst durch das Auftreten der Schauspieler. Dadurch gewinnt er Spannung in seiner Dreidimensionalität. „Und sollte ich nicht eine gewisse Genugtuung empfinden, wenn ich beobachte, mit welcher Selbstverständlichkeit die Spieler einen Bühnenraum, allein über dessen Grundriß ich oft lange gegrübelt habe, in Besitz nehmen und ihren Zwecken dienstbar machen? Ursprünglich war dieser sznenische Raum nur eine Anweisung im Dramentext, jetzt hat er seine Dreidimensionalität und wird als das einzig angemessene Interieur, Gelände, Environment genutzt.“

Schmidt, der 1946 auch anfing, Regie in eigener Ausstattung zu führen, mußte sich - im Unterschied zum Bühnenbild - bei der neuen Arbeit anfangs Beschwerden für gewisse Ungeschicklichkeiten bei seinen Inszenierungen gefallen lassen. Kritiker beschimpften seine Inszenierungen als „durchexerzierten Reichskanzleistil“, doch löst sich Schmidt vom faschistoiden Formalismus auf der Bühne, als er auch im Spiel jenen gebauten Historismus verläßt. Wie im simulierten Raum dringt eine poetisch-künstliche Sprache in seine Regie ein, die der absurden Dramaturgie nahekommt. Seine Kafka -Inszenierung „Ein Bericht für eine Akademie“ (Akademie der Künste 1962) zeigt einen Affen, der Possen reißt und die Welt als verrückten Raum handhabt. Sichtbar ist der Irrsinn allemal.

rola

Die Ausstellungen: „Willi Schmidt - Die Bühne als geistiger Raum“ sind bis zum 24. März zu sehen in der Alten Nazarethkirche im Wedding und in der Akademie der Künste, Archivdependance am Spandauer Damm. Der Eintritt ist frei. Der Katalog kostet 55 Westmark.

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