: SED-Reformer in der Resignation
■ Angesichts des rasanten Zerfalls der Partei sehen auch die kritischen Kräfte kaum noch eine Perspektive
Ost-Berlin (taz) - Wie verhalten sich die Reformer innerhalb der SED-PDS, nachdem der Parteivorstand am Wochenende mehrheitlich eine Auflösung der Partei abgelehnt hat? Mit dieser Aufgabenstellung versammelten sich am Sonntag abend in einem Berliner Universitätsinstitut Vertreter verschiedener Plattformen, die sich in den zurückliegenden Wochen gebildet hatten. Im überfüllten holzgetäfelten Hörsaal informierte Vorstandsmitglied Michael Brie über die wichtigsten Ergebnisse der 15stündigen Krisensitzung. Folgt man der Schilderung, so bietet die Partei ein Bild der Auflösung: ganze Kreisorganisationen treten derzeit geschlossen aus, vier, vielleicht fünf (von insgesamt 15) Bezirksorganisationen bereiten die Auflösung vor. Auch in breiten Teilen der Armee vollzieht sich der Massenaustritt, seitdem viele Vorgesetzte erleben mußten, daß von Mitgliedern der SED-PDS keine Befehle mehr entgegengenommen werden. Äußerst problematisch vollzieht sich offenbar auch die Verlagerung der Parteiorganisationen raus aus den Betrieben und hinein in neue Büros in den Wohnvierteln. Nur etwa jedes zehnte Mitglied hat sich bislang bei den neuen Adressen gemeldet.
Im Vorstand befanden sich jene, die für eine Auflösung der SED votierten, trotz allem in einer krassen Außenseiterrolle. Der zweifelhaften Argumentationskette „Löst sich die Partei auf, fällt die Regierung Modrow, stürzt Gorbatschow“ schloß sich eine deutliche Mehrheit an. Doch der Kampf, den Zusammenbruch aufzuhalten, sei bereits verloren, für die Erneuerung der Partei bestehe keine Chance mehr, resümierte Brie resigniert und gab seinen Austritt aus dem Vorstand bekannt. Die Taktik dieses Vorstands scheint derzeit darin zu bestehen, sich politisch immer weiter zurückzuziehen, bis man irgendwann als gleichberechtigte Partei anerkannt ist. Der Wille zur erneuten Übernahme politischer Verantwortung ist stark gesunken, was bereits zu Anträgen an die Führung führte, den Wahlkampf gar nicht erst zu versuchen.
Die Plattformen der Reformer standen am Sonntag abend vor der Aufgabe, sich entweder zu einem Flügel der SED-PDS zusammenzuschließen oder sich abzuspalten und eine neue Partei zu gründen. Aus Leipzig kam die Kunde, daß die Plattform „Demokratischer Sozialismus“ am Wochenende zu dem Schluß kam, daß die Doppelnamen-Partei nicht mehr zu reformieren sei und den Bestand der Linken in ihr real gefährde. Daher konstituierte sich dort ein Vorbereitungskomitee für eine Sozialistische Partei.
Die Frage, die viele an diesem Abend bewegte, war sehr konkret: Wie verhalte ich mich ganz persönlich künftig zur alten Partei? Die Schriftstellerin Helga Königsdorf sprach sich für den „leisen“ Austritt jedes einzelnen aus. Ein Mitglied des Parteivorstands forderte, die Parteiintellektuellen hätten die Aufgabe, die konsequente Auflösung der SED zu garantieren.
Ina Merkel, die den unabhängigen Frauenverband auch am runden Tisch vertritt, verlangte den radikalen Bruch: Der Reformerflügel solle geschlossen die SED-PDS verlassen und mit einer politischen Erklärung an die Öffentlichkeit gehen. Rainer Land von der Gruppe „Konzeption moderner Sozialismus“ unterstützte Ina Merkel, indem er feststellte, daß seit Herbst keine tiefgreifende Erneuerung innerhalb der Partei gelungen sei. Im Gegenteil: Apparat und Kader hätten den Machterhalt im Auge. Mit dem Ziel, auf lange Sicht wieder politikgestaltend wirksam zu werden, müsse der Bruch vollzogen werden. Er habe persönlich keine Angst davor, als „SED-Reformer“ bezeichnet zu werden, müsse jedoch eingestehen: „Wir haben den Kampf um Reformen in der SED verloren.“
Mehrheitlich setzte sich die Erkenntnis durch, daß die Linke über den Wahltag am 6. Mai hinaus erhalten bleiben müsse und ihr Platz in der Opposition sei. John Erpenbeck von der sozialdemokratischen Plattform schlug den Zusammenschluß der Versammelten in einer Arbeitsgruppe unabhängig von der Parteimitgliedschaft vor. Versammlungsleiter Thomas Montag („Der Austritt aus diesem Scheißladen fällt uns ja so furchtbar schwer!“) stellte die Vereinigung der Plattformen (sozialdemokratische, kommunistische, Werk für Fernsehelektronik, „Dritter Weg“) nach zweistündiger Debatte zur Abstimmung. Die ging mehrheitlich durch.
Einer Minderheit um Ina Merkel und Rainer Land reichte dies nicht mehr: Für sie ist die Zeit für Plattformen und Flügel innerhalb der Partei abgelaufen. Ihre Absichten heißen demonstrativer Austritt aus der SED-PDS zum Erhalt linker Identität und die Einsicht, nicht um Mehrheiten zu kämpfen, sondern sich in Opposition zu einer zu erwartenden bürgerlichen Regierung zusammenzufinden.
Hannes Bahrmann
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