piwik no script img

Egon Krenz: der Honecker war's

■ Ex-Staatschef Krenz entschuldigt sich am runden Tisch beim Volk und betont seine Rolle bei der Entmachtung der alten SED-Spitze / Die Stasi ist in 40 Jahren zum Staat im Staat verkommen / Schuld waren die Vorgänger

Berlin (ap/taz) - Der frühere DDR-Staats- und Parteichef Egon Krenz und der ehemalige Sicherheitschef der SED, Wolfgang Herger, sind am Montag vor dem runden Tisch in Ost -Berlin erschienen. Das Gremium wollte die früher im SED -Politbüro und Zentralkomitee für Sicherheitsfragen zuständigen Politiker auch über die Verbindungen von SED und Sicherheitsapparat und die Polizeieinsätze bei DemonstrantInnen im vergangenen Herbst befragen. In der vergangenen Woche hatte sich Krenz zu entsprechenden Fragen vor einem Volkskammerausschuß nicht geäußert, weil er von seiner Schweigepflicht nicht entbunden gewesen sei. Gestern sagte er, als nicht mehr der Partei angehörender Bürger sei er an diese Schweigepflicht nun nicht mehr gebunden.

Krenz verlas einen schriftlich vorbereiteten Bericht, wonach er zu der Gruppe gehört habe, die die Ablösung von Erich Honecker tatkräftig betrieben habe. Die Gruppe sei davon ausgegangen, daß politische Probleme nur mit politischen Mitteln gelöst werden könnten. Die alte Führung dagegen habe an ihrer verfehlten Politik festhalten wollen. Krenz entschuldigte sich namens dieser Gruppe und bat das Volk, diese Entschuldigung anzunehmen.

Die Verquickung von SED und Staatssicherheitsdienst habe sich in 40 Jahren DDR herausgebildet. Demokratische Kontrollen hätten dabei gefehlt und dies hätte zu „Doppelzüngigkeit, Passivität und Resignation“ geführt. Das Verhältnis von SED und Staatssicherheit werde in der Losung des Amtes - „Schild und Schwert der Partei“ - sichtbar. Die Behörde sei ein „Staat im Staat“ geworden. Und unter Verletzung jedes demokratischen Prinzips seien nahezu alle Entscheidungen von seinem Vorgänger Honecker und Staatssicherheitsminister Mielke gefällt worden. Er selbst sei in solche Entscheidungen nicht einbezogen worden.

Tatsache sei auch, daß die Stasi außerhalb jeder parlamentarischen und staatlichen Kontrolle gestanden habe. Im Amt habe die Auffassung geherrscht, daß Andersdenkende als antisozialistischen Elemente „unter Kontrolle“ hätten gehalten werden müßten. Aus heutiger Sicht sei das „eindeutig eine Menschenrechtsverletzung“. Für die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann und die Abschiebung anderer Dissidenten sei er - damals FDJ-Chef nicht zuständig gewesen. Krenz räumte ein, daß er damals aber „keinen Protest“ erhoben hatte.

Auch Wolfgang Herger gab zu, für die damalige Politik Mitverantwortung zu tragen. Besonders unter dem Eindruck der Niederschlagung der Demokratiebewegung in China sei er sich aber des wachsenden Widerstandes gegen die Staats- und Parteiführung bewußt geworden. Er habe mit Krenz daraufhin die Ablösung Honeckers „aktiv betrieben“.

Zu seiner Rolle bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr erklärte Krenz dem runden Tisch, daß er von Wahlfälschungen nichts wissen habe können. Er habe sich bei der Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses auf die Schlußberichte aller 227 Wahlkreise gestützt. Er verlas ein Schreiben, wonach im Ostberliner VEB Datenverarbeitung die Wahlergebnisse ordnungsgemäß und „ohne Manipulationen verarbeitet“ worden seien. Das sei nachprüfbar. Krenz räumte aber ein, daß die bisherigen Wahlen in 40 Jahren DDR lediglich den Charakter von „Zettelfalten“ gehabt haben. Unverständlich nennt es Krenz heute, daß die führende Rolle der SED in der Verfassung festgeschrieben wurde.

wg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen