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Gegen die rot-grüne Modernisierung des Kapitalismus

Es begann an einem Aprilwochenende des vergangenen Jahres in einem Hamburger Bürgerzentrum mit dem sinnfälligen Namen „Haus für alle“. Unter strikter Geheimhaltung - damit nicht wirklich „alle“ kommen - traf sich ein handverlesener Kreis bundesdeutscher Linker, vorwiegend männlichen Geschlechts: links-grüne Prominenz, Autonome, Sozialisten und Kommunisten jenseits der DKP, Vertreter der Blätter 'Konkret‘, 'Arbeiterkampf‘, 'SoZ‘, 'Atom‘ und 'Prowo‘ und die „Linke Liste Frankfurt“.

Unter dem Motto „Die Einäugigen unter den Blinden revolutionäre Sozialisten gegen Anpassung und blinden Aktionismus“ kam der erste radikale runde Tisch zustande, initiiert von den Ökosozialisten Thomas Ebermann und Rainer Trampert sowie einigen Genossen des Kommunistischen Bundes und dem Marburger Georg Fülberth, letzterer eher als linksintellektueller Solist denn als DKP-Mitglied. Die DKP -Erneuerer waren, wegen zu reformistischer Orientierung, ohnehin nicht erwünscht. Nach zweitägiger chaotischer Diskussion trennte sich die Hamburger Runde in dennoch gehobener Stimmung und meldete sich zum gerade laufenden Hungerstreik der RAF-Gefangenen gleich mit neuem Bündnis -Etikett zu Wort: „Radikale Linke„; der Verfassungsschutz reagierte ebenso irritiert wie das nicht eingeweihte linke und grüne Publikum.

Es war die Zeit, in der das Bedürfnis nach einem neuen linken Aufbruch geradezu in der Luft hing: Der grüne Ditfurth-Vorstand war Monate zuvor gestürzt worden; nach der Koalitionsbildung in Berlin machte das Wort von der „rot -grünen Besoffenheit“ die Runde; der Hungerstreik der RAF -Gefangenen verlangte nach gemeinsamem Handeln, und nicht nur die Gefangenen hatten den Wunsch nach einem neuen linken Dialog signalisiert. „Miteinander wieder reden zu können ist bei der Geschichte vieler bundesdeutscher Linker schon sehr viel“, freute sich Jutta Ditfurth. Und schmunzelnd hatte man auf dem ersten Treffen zur Kenntnis genommen, daß zwei ältere Semester, nämlich der Kommunist Fülberth und der Hamburger Autonomen-Intellektuelle Karl-Heinz Roth, zuletzt beim SDS an einem Tisch gesessen hatten.

Was dieses ungewöhnlich breite Spektrum einen sollte, wurde wenig später in einem politischen „Grundlagen„-Papier aufgeschrieben: vor allem die Ablehnung einer rot-grün frisierten Modernisierung des Kapitalismus. „Irreal“ sei das Versprechen, dieses System könne sozialverträglich, friedensfähig, umwelt- und frauenfreundlich werden. Radikale Politik müsse statt dessen auf einen Bruch mit Kapitalismus und Patriarchat setzen, die „soziokulturellen Strukturen einer leistungs- und integrationsfeindlichen Gegenkultur verteidigen“ und der „staatslinken Sehnsucht“, endlich einmal „dabei zu sein“, die „Kraft der Negation“ entgegensetzen. Denn: „Die schroffen Negationen sind die Voraussetzung für politische Utopien.“ Gegen den befürchteten Sog zu Rot-Grün und gegen staatsloyale Anpassung wollte die „Radikale Linke“, so der formulierte Anspruch, nicht nur publizistisch, sondern auch mit lokalen Zusammenschlüssen intervenieren.

Während sich auch tatsächlich in einigen Städten radikallinke Runden bildeten, wurde auf den folgenden bundesweiten Treffen zugleich deutlich, daß eine gemeinsame Definition von „Radikaler Linker“ so leicht nicht zu haben ist. Unmut über die personelle Dominanz der linksgrünen Prominenz paarte sich mit Kritik an deren unbewältigtem Verhältnis zur eigenen Parteivergangenheit.

Das „Grundlagen„-Papier, formuliert von dem Duo Trampert/Ebermann, hatte zu diesem Punkt mehr Selbstmitleid als Analyse zu bieten: Die politische Entwicklung der Grünen sei „die bedeutendste Integrationsleistung dieses Staates und dieser Gesellschaft“. Die Grünen seien nun eine „systemintegrative Partei“, die den linken Mitgliedern „jede Möglichkeit“ versperre, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Die „Linke Liste Frankfurt“ monierte auch an anderen Plattform-Passagen ein objektivistisches Politikverständnis: „Vor lauter Opfern sieht sich die Radikale Linke selbst nicht mehr.“ Als Kritikerin von außen kommentierte die grüne Internationalistin Gaby Gottwald das Treiben ihrer noch -grünen Parteifreunde so: Die Radikale Linke würde „zum Vehikel für die Abrechnung mit den Grünen gemacht“ und dem neuen Bündnis würde der „linksgrüne Ballast“ aufge halst.

Das autonome Spektrum hatte bei den „Kadertreffen“ von „selbsternannten Chefideologen“ von Anfang an ohnehin politische Bauchschmerzen, kritisierte die mangelnde Basisverankerung bei der Vorbereitung eines für Mai geplanten Kongresses und zog sich schließlich ganz aus dem Kreis zurück. Schließlich wolle man nicht das linksradikale Feigenblatt dieser sogenannten „Radikalen Linken“ abgeben. Ein Gastspiel blieb auch die Beteiligung einer Gruppe ehemaliger politischer Gefangener, darunter Monika Berberich. In einem Brief an die RAF-Gefangenen hatte die „Radikale Linke“ sich zunächst bemüht, die Häftlinge am Dialog über die Erneuerung linker Politik teilhaben zu lassen. Dem ersten Schritt, von den grünen Radikalökologen ohnehin befehdet, folgte jedoch kein weiterer. Und, last but not least, für Feministinnen sind die männerbündelnden Strukturen der „Radikalen Linken“ bisher kaum attraktiv.

Ein dreiviertel Jahr nach seinem Entstehen hat sich das ursprünglich angepeilte Spektrum des neuen Bündnisses schon reduziert. Auf dem ersten öffentlichen Treffen am vergangenen Wochenende in Köln bestritten weitgehend die alten „Kader“ von Links-Grünen, KB, VSP und DKP die Debatte. Andererseits: Podiumsveranstaltungen mit dem Etikett „Radikale Linke“ ziehen vor Ort ungewohnte Besucherzahlen an - getrieben von der Hoffnung auf neue Ansätze einer nicht -reformistischen Politik. Ob die „Radikale Linke“ mehr ist als nur ein Spuk, ob sie tatsächlich interventionsfähig ist, das wird sich in den nächsten Monaten erweisen - bei den geplanten Aktivitäten gegen die Wiedervereinigung und bei ihrem Strategiekongreß am 19. und 20. Mai.

cw

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