: Viva, Cuba Libre - mit Club-Cola!
■ Menschen im Hotel: Das Restaurant La Habanna, Hotel Metropol, Friedrichstraße, Ost-Berlin / Impressionen von Karibik, Schonkost und Kübelpalmen / Hauptstadtchic an einem kalten, nassen Winterabend
Im Restaurant sitzt niemand, den ich mir hätte länger ansehen wollen. Langweilige Geldleute. Kerzen flimmern künstliche Atmosphäre von den Marmortischen an die Spiegel und Mahagoniwände. Rustikale Stühle. Unbequem, schwer. Speisekarte. Weinkarte. Lächelndes Personal.
Inmitten dieses Täuschens esse ich. Genieße, bestelle, rauche, lese - meine Caramelcreme wird gereicht. Ein Teil des Panoptikums. Die Frau dort drüben ißt die Pommes mit den Fingern. Elegant mit Daumen und Zeigefinger das goldknusprige fritierte Kartoffelstück zwischen die alternden Lippen einführend. Anschließend Daumen und Zeigefinger gegeneinander reibend. Als ob das Fett dabei abgehen würde.
Der beringte Mann trinkt das Bier aus der Flasche. Riesige Luftblasen steigen auf. Den Mund abgewischt mit behaartem Handrücken. Unterdrücken eines lauten Ausstoßes überschüssiger Kohlensäure. Zigarre zum unglaublich zigsten Male angezündet. Der Schlips lose, das Jackett offen. Bauchzeigend. Schweiß auf der Stirn. Der Holländer wünscht kalte Coca. „Nur Club-Cola, leider. Sonst gerne.“ „Was sonst?“ Peinliches Lächeln. Die Musiker machen karibischen Lärm. Laufen mit ihren Gitarren durch das Lokal. Singend, unter lateinamerikanischen Schnauzern hervorlächelnd.
Die goldverzierte Matrone wirft ein Trinkgeld. Die Lippen knallig rot. Sie schaufelt weiter einen Schonkostsalat - mit doppelter Sahne. Gekonnt schneidet der dunkelhäutige Barmann für alle sichtbar Kokosnußfleisch. Ein Stück davon, ein Blatt tiefgrüner Minze - Daiquiri. Viel Mühe. Er lächelt. Laut plaudernd das Glas nehmend. Cool die Buntheit des Drinks übergehend, rührt der Lederhosentyp mit Wet-Look-Gel im Haar und dicker Goldhandgelenkkette im Getränk herum. Setzt an - leer.
Mit wehendem Tuch durchschreitet eine Frau hackenknallend die dezent bis langweilige „koloniale“ Einrichtung. Die Dame wurde bereits erwartet. Aufwendige Begrüßung. Man strahlt. Sich im Kreise umschauend - niemanden übersehen? - stellt sie die bordeauxrote Handtasche mit kleinem Metallmarkenzeichen auf den Tisch, läßt sich von der Bedienung einen Wein empfehlen. „Möglichst nicht so schwer. Das Essen später.“ Locker rückt sie einen Träger unter der weitoffenen Bluse zurecht, ordnet Halsketten, nimmt die Ohrclips ab. Raucht eine zigarilloähnliche Zigarette. Die Toilettenfrau holt sich hinter der Bar einen Hauskaffee im Porzellantopf mit roten Herzen. Legt eine Kaffeemarke auf den Tisch, haut dem Barmann auf den Hintern. Die Bargäste freuen sich über den Gag des Personals.
Stecke mir eine Zigarette an. Mit dem neuen Feuerzeug. Eine Stunde importierte Fremdheit. Neuer karibischer Musikeinsatz. Mit bewegten Scheibenwischern fahren draußen verdreckte Autos durch die nasse, dunkle Stadt.
Tobias Wagner
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