: Aufbruch zu neuen Ufern
■ Jenseits des unproduktiven Streits um den „wahren“ Feminismus gibt es eine selbstbewußte grüne Frauenpolitik
Marieluise Beck-Oberdorf / Elke Kiltz
Abschied vom Feminismus? Unter diesem Titel versuchten sich zwei Autorinnen, Regina Michalik und Claudia Pinl, am 15.Januar an einer Bilanz nach 10 Jahren Die Grünen. Ihre Beiträge zogen unter grünen Frauenpolitikerinnen erhebliche Kritik nach sich. (d.Red.)
Jenseits aller Diskussionen um die Definition von Feminismus bei den Grünen und der Frage, ob es (noch) lohnt, feministisches Engagement innerhalb der Partei zu investieren, sind viele grüne Frauen längst zu neuen Ufern aufgebrochen - auch wenn es die Gralshüterinnen des „Feminismus in den Grünen“ noch nicht wahrhaben wollen.
Die Mehrzahl der grünen Frauen, die, unterstützt durch die Quotierung, in Stadtteil-, Kommunal-, und Landesparlamenten, im Bundestag und in den Parteigremien Politik macht, fragt sich nicht, ob sie „nur“ frauenfreundliche oder „schon“ feministische Politik macht. Viele arbeiten trotzdem - oft in Kooperationen mit Frauengruppen - und Initiativen vor Ort - mehr oder weniger frauenorientiert in ihren jeweiligen Fachgebieten.
Die meisten dieser Frauen haben sich von der Debatte um Quotierung und Feminismus bei den Grünen auf dem „Feministischen Ratschlag“ in Bonn im November vergangenen Jahres nicht angesprochen gefühlt. Sie kamen nicht! Das Häufchen Frauen, das ratlos im dunklen Kellertheater des Pantheon tagte, muß sich fragen, was es selbst zu dieser Abstimmung mit den Füßen beigetragen hat. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Frauen, die den Ratschlag vorbereitet hat, leidet schließlich seit Jahren an schleichender Auszehrung.
(1) Der Begriff „Feminismus“ ist innerhalb der Grünen in der Vergangenheit so häufig strömungspolitisch mißbraucht und überstrapaziert worden, daß er seine Glaubwürdigkeit und Anziehungskraft innerhalb der Partei verloren hat und auch den Feministinnen außerhalb der Partei leer und folgenlos erscheinen muß. Der Versuch, den „wahren“ Feminismus ausschließlich im linken, fundamentalistischen Lager zu verorten, reduzierte uns zu Strömungsfrauen.
(2) Gleichzeitig war Emanzipation lange Zeit so eng gefaßt, daß die Vielfalt weiblicher Lebensrealitäten, und -wünsche darin keinen Raum hatte.
(3) Nichts hat uns mehr geschwächt und unproduktiv gemacht als die Politik der Ausgrenzung in den eigenen Reihen. Das beste Beispiel dafür ist unser Umgang mit dem Müttermanifest (1987) gewesen. Statt das große Verratsgeschrei anzustimmen und die Unterzeichnerinnen wegen Mütterideologie quasi zu exkommunizieren, hätten wir an dieser Stelle die Debatte um Differenz und Gleichheit entfalten müssen.
Das Müttermanifest, so kritikwürdig es auch war, hat den Finger auf eine offene Wunde gelegt. In dem Bemühen, die Frauen nicht auf ihre Rollen als Tochter, Geliebte, Ehefrau und Mutter festzulegen, sondern in erster Linie als eigenständige Personen mit eigenen Ansprüchen und Bedürfnissen zu sehen, waren der grünen Frauenpolitik wesentliche Lebensrealitäten aus dem Blickfeld geraten. Die mehr oder weniger zarten Fußangeln z.B., mit denen Frauen versehen sind, wenn sie „wider alle Vernunft“ Kinder bekommen, waren nicht ausreichend als programmatische Herausforderung aufgenommen.
Die konkrete Alltagspolitik grüner Frauen ist inzwischen sehr viel differenzierter, als die Programmdebatten um die Frauenpolitik ahnen lassen.
Einige Beispiele:
Die Geschlechterfrage hat in der Verkehrspolitik die unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnisse und -chancen von Männern und Frauen aufgrund der traditionellen geschlechtlichen Arbeitsteilung deutlich gemacht. Frauen haben in der Regel weniger Geld als Männer, folglich weniger Zugang zu Führerschein und PKW. Ihre alltägliche Mobilität erschöpft sicht nicht in den männlichen Wegen zwischen Arbeitsplatz und Wohnort. Sie kombinieren vielmehr viele kürzere Wege, wenn sie Erwerbs- und Familienarbeit miteinander vereinbaren. Frauen sind demnach die stärksten Bündnispartnerinnen der Grünen für eine sozial und ökologisch verträgliche Verkehrspolitik - in den Initiativen für Tempo 30 und für bessere ÖPNV-Angebote gibt es in der Regel weibliche Mehrheiten.
In der Rentendebatte bestanden grüne Frauen darauf, die weibliche Altersarmut endlich als den Preis für unbezahlte Haus- und Familienarbeit zu werten und setzten dem an der männlichen Erwerbsbiographie orientierten sozialen Sicherungssystem die Forderung nach Grundsicherung entgegen.
In der Landwirtschaftspolitik ist angesichts der materiellen Abhängigkeit der Bäuerinnen von Hof und Bauer der Vorschlag zu einer eigenständigen Alterssicherung für Bäuerinnen entwickelt worden.
In der Arbeitszeitpolitik wird die unbezahlte Haus- und Familienarbeit als Grundlage der bezahlten Erwerbsarbeit einbezogen und folgerichtig der Ansatz vertreten, Freistellungsansprüche ohne Einkommensverluste für Männer und Frauen zur Betreuung von Kindern und alten und kranken Menschen in den Erwerbsarbeitsstrukturen zu schaffen.
In der Arbeitszeitpolitik gibt es mit dem Modell zur geschützten Teilzeitarbeit für Eltern ein gutes Beispiel für den Positionenstreit unter grünen Frauen. Wir gehen dabei von dem Grundverständnis aus, die Position der Frauen in der Auseinandersetzung der Geschlechter zu stärken, statt Gleichstellung vorzuschreiben. Konkret: In unserem Vorschlag sollen Frauen und Männer ohne Vorschriften untereinander ausmachen, wer die Freistellungsansprüche in welchem Umfang in Anspruch nimmt. Unsere Kritikerinnen wollen die Teilung zwischen den Geschlechtern zu gleichen Teilen verbindlich vorschreiben - ansonsten soll die Hälfte des Anspruchs verfallen. Hier werden zwei unterschiedliche Politikansätze deutlich.
Wir gehen davon aus, daß Strukturen, die Frauen sowohl materielle Unabhängigkeit als auch Teilhabe an Öffentlichkeit ermöglichen, in der Gesetzgebung, bei den Gewerkschaften, bei Verbänden etc. durchgesetzt werden können und müssen.
Dennoch müssen wir die begrenzte Reichweite von Gesetzen anerkennen. Das heißt: Kein noch so rigides Gesetz wird Frauen die alltägliche Auseinandersetzung mit ihren Kollegen, Chefs, Ehemännern und Liebhabern abnehmen - so sie es nicht vorgezogen haben, in Frauenzusammenhängen zu leben und/oder zu arbeiten. Es geht neben den notwendigen Gleichstellungsvorschriften wesentlich um eine Kulturrevolution, die nicht per Staatsanwaltschaft herbeigezwungen werden kann, sondern auch herbeigelebt werden will.
Auch wenn diese Ansätze noch längst nicht Allgemeingut grüner Landes- und Bundesarbeitsgemeinschaften und grüner Programmatik sind, machen sie deutlich, daß die Politik der grünen Frauen über die Themen „Gewalt gegen Frauen, Paragraph 218, Quotierung“ hinausgeht. Immer mehr grüne Frauen machen selbstbewußt und ohne großes Aufheben um den Feminismus die Geschlechterfrage zum Ausgangspunkt oder zumindest Bestandteil ihrer jeweiligen politischen Aktivitäten und greifen dabei sowohl die weiterentwickelte feministische Theorie als auch die praktischen Erfahrungen der Frauenbewegung auf.
Wir können also nicht in die Klage einstimmen, daß feministische Politik in den Grünen nicht (mehr) möglich ist. Ohne den sattsam bekannten Widerstand der Männer gegen selbstbewußte weibliche Ansprüche in der Partei leugnen zu wollen, zeigen die Beispiele, daß Quotierung sich inhaltlich niederschlägt. Wir müssen diese Ansätze aufnehmen, ihre programmatische Durchsetzung unterstützen und sie bündeln.
Ureigenste Aufgabe grüner Frauen wäre unseres Erachtens darüber hinaus, den Zusammenhang von Feminismus und Ökologie genauer herauszuarbeiten, also die Patriarchatskritik in Verbindung zu bringen mit der ökologischen Zerstörung, der Destruktivkraft von Forschung und Technologie und der Ausbeutung der Dritten Welt. Ende 1986 gab es mit dem Kongreß „Frauen und Ökologie“ einen guten Ansatz dafür, an den mit dem ursprünglich geplanten Eröffnungsfrauenpodium des Perspektivkongresses in Saarbrücken hätte angeknüpft werden können. Die Partei hat diese Chance ausgeschlagen. Wir müssen auf eine neue dringen. Es ist unsere Sache, deutlich zu machen, daß eine ökologische Politik ohne feministische Analyse und Patriarchatskritik langfristig zum Scheitern verurteilt ist. Mit dem Aufbruch der DDR-Frauen im Rahmen der gewaltfreien Revolution in ihrer Republik bieten sich zudem ganz neue Perspektiven zur gemeinsamen Arbeit an der ökologischen Überlebens- und der Geschlechterfrage.
Marieluise Beck-Oberdorf, Lehrerin, ist seit 1983 Abgeordnete der Grünen im Bundestag (mit Rotationspause), Mitglied im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, Arbeitskreis Frauenpolitik (Schwerpunkte Frauenerwerbsarbeit, Rentenpolitik).
Elke Kiltz, seit 1979 Mitarbeiterin des 'Frankfurter Frauenblatts‘, war von 1985 bis 1989 Mitarbeiterin der autonomen Frauen bei den Grünen im Frankfurter Römer (Schwerpunkt: „Kommunale Frauenpolitik“), seit 1989 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Grünen im Bundestag, Arbeitskreise Arbeits- und Sozialpolitik, Frauenpolitik.
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