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Scharfe Munition für die Marktwirtschaftler

Sondergutachten der „Fünf Weisen“ macht weitgehende Vorschläge zur kapitalistischen Transformation der DDR / Das Gutachten macht vor keinem sozialistischen Tabu halt, spricht sich aber sowohl gegen eine Währungsreform als auch gegen eine Währungsunion aus  ■  Von Kurt Zausel

Berlin (taz) - Die von der Bonner Regierung bewerkstelligte politische Entwicklungshilfe für die DDR hat mit dem Sondergutachten des Sachverständigenrates zu Reform der DDR -Wirtschaft einen neuen Höhepunkt erreicht. Vertreter des Deutschen Industrie- und Handelstages sprachen von einem guten Rat zur rechten Zeit. Der Sachverständigenrat - der unerfindlicherweise „Fünf Weise“ heißt - hatte den schnellen und kompromißlosen Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft zur kapitalistischen Marktwirtschaft empfohlen. Ein Rat, der insbesondere in Kreisen der bundesdeutschen Industrie und der Bonner Koalition Zustimmung findet. Der Bundesverband der Deutschen Industrie schlug umgehend vor, das Gutachten der Modrow-Regierung und den DDR-Parteien als Orientierungshilfe an die Hand zu geben. Diese Anregung wurde gestern von Bundeswirtschaftsminister Haussmann aufgenommen, der die erste Sitzung der deutsch-deutschen Wirtschaftskommission nutzte, den DDR-Vertretern das detaillierte Reformprogramm der „Weisen“ näher zu bringen.

Haussmann durfte sich für seinen Besuch in Ost-Berlin gut munitioniert wissen, enthält doch das Sondergutachten den ersten stringenten Vorschlag für einen allumfassenden Umbau der DDR-Wirtschaft. Daß dieser Vorschlag allein und ausschließlich auf das Konzept der kapitalistischen Marktwirtschaft setzt, kann angesichts der bekannten neokonservativen Grundausrichtung dieses Gremiums nicht erstaunen. Vor nahezu keinem sozialistischen oder auch sozialpolitischem Tabu wird halt gemacht.

Marktliberale Offensive

So wird für den Wegfall des staatlichen Außenhandelsmonopols und die Zulassung von Arbeitslosigkeit ebenso plädiert wie für den unreglementierten Verkauf von Unternehmensbeteiligungen und von Boden- und Wohnungseigentum. Dringlich nahegelegt wird auch eine Veränderung der DDR-Verfassung, durch die ein Privateigentum auch in bislang untersagten Bereichen zugelassen werden soll. Zur Absicherung der marktliberalen Offensive werden von den Experten sogar Ausnahmen von der Regel der heiligen Marktregulierung zugelassen.

So soll die freie Verfügung der Bevölkerung über ihre Spareinlagen dann vorübergehend staatlich eingeschränkt werden können, wenn infolge der (aus der Umstrukturierung der Preis- und Subventionssysteme resultierenden) höheren Inflationsrate die Sparer versuchen, dem realen Wertverfallihrer Einlagen durch Flucht aus den Sparguthaben zu entgehen. Wenn es nützt, darf offensichtlich auch ewas „Staatsdirigismus“ in Kauf genommen werden.

Keine Währungsreform

Einen Schuß vor den Bug gibt das Gutachten allerdings auch den Konföderisten, die am liebsten schon morgen einen Staatenverbund realisiert sehen möchten. Der kursierenden Behauptung, eine Währungsreform in der DDR sei angesichts eines gewaltigen Kaufkraftüberhangs unausweichlich, wird in dem Gutachten eine Abfuhr erteilt. Anstelle dessen wird vorgeschlagen, den im Vergleich mit anderen exsozialistischen Ländern keineswegs besorgniserregenden Kaufkraftüberhang dadurch abzubauen, daß der Staat volkseigene Betriebe und Boden- und Wohnungseigentum an die Bevölkerung verkaufen soll. Die erzielten Einnahmen sollten stillgelegt und damit dem Geldkreislauf entzogen werden.

Eine ähnlich rigide Abfuhr erteilte der Rat auch allen Vorschlägen für eine deutsch-deutsche Währungsunion, wie sie jüngst etwa von der SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier und vom FDP-Präsidium in die Diskussion gebracht wurden. Notwendig sei zunächst die Installierung einer unabhängigen Notenbank, die Sicherung stabiler Wechselkursverhältnisse und die Einleitung von Maßnahmen zur Konvertibilität der DDR -Mark. Die Übernahme der D-Mark als generelle DDR-Währung sei angesichts der gewaltigen Strukturdifferenzen zwischen der BRD und der DDR gegenwärtig nicht realistisch.

In das gleiche Horn stößt auch Bundesfinanzminister Theo Waigel, der unter Verweis auf die schleppenden Diskussionen einer Europäischen Währungsunion betonte, daß es derzeit keine Möglichkeit für eine Union beider deutscher Währungen gäbe. Erst wenn die DDR kapitalistische Strukturreformen eingeleitet habe, könne über die Währungsfrage entschieden werden. Angesichts der faktischen Existenz der D-Mark als Parallelwährung in der DDR entbehrt eine solche Position allerdings einer ökonomischen Plausibilität. Die eigentlichen Gründe für die abweichenden Haltungen dürften politischer Natur sein: Würde nämlich die D-Mark offiziell zur Währung der DDR erklärt, hätte die Bundesregierung auch direkte Verantwortung für die weitere ökonomische Entwicklung der DDR zu tragen. Angesichts der zu erwartenden hohen sozialen Kosten eines Übergangs zur kapitalistischen Marktwirtschaft wollen sich die Konservativen dieser Verantwortung möglichst lange entziehen.

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