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GROSS UND KLEIN

■ Die Opernpremieren vom Wochenende

Aus dem Graben quillt ein grausiges Tremolo, auf der Bühne tippt ein ganzes Schreibbüro. Die wild kostümierte Lady mit Wagenradhut klappt den Mund auf und zu, und es donnert. Das hat natürlich seinen guten Grund: In der Oper kommt von unten Musik, damit man nicht versteht, was die Leute oben machen. Ich verstehe das zwar nicht ganz, aber ich hab‘ mir's einmal von einem echten Opernfan erklären lassen: Man geht in die Oper zum Entspannen. Weil man für ein paar Stunden eben mal nicht denken will. Fürs Denken geht man ins Theater oder so.

Zum Wochenende gab es reichlich Entspannung in West-Berlin. Zwei Opernpremieren, eine groß und eine klein - und beide Male ging es hauptsächlich nur um eine einzige Frau. Vorneweg die bewährte Berliner Kammeroper mit einem Stück, bei dem die Handlung weltbekannt ist: der Barbier von Sevilla nach Beaumarchais - das ist die Geschichte vom verliebten Grafen, der inkognito bei der süßen kleinen Rosina fensterlt, die von ihrem Vormund eifersüchtig unter Verschluß gehalten und dann am Ende gut, alles gut, doch noch Frau Gräfin wird - mittels vieler heimlicher Liebesbriefe, Verkleidungen, Verwechslungen usw. sowie der tatkräftigen Nachhilfe des klugen Figaro. Alle zusammen singen im Finale das obligatorische: Ja, ja, ja, ja, so geht's. Beste italienische Buffa also, nur diesmal nicht mit der Musik von Rossini, sondern mit der heute nur noch selten gespielten von Maestro Giovanni Paisiello, der ein Zeitgenosse Wolfgang Amadeus Mozarts war und seinen Barbiere vier Jahre früher herausgebracht hat als der seine Nozze di Figaro, was 1786 geschah und sozusagen die nächste Fortsetzung dieser Beaumarchaisschen Erfolgsserie gewesen ist.

Die italienische Opernmusik vom Ende des 18. Jahrhunderts aber hat leider den Ruf, daß sie tödlich langweilig sei für unsere modernen postmozärtlichen Ohren - eine Ansicht, die offenbar auch der Regisseur Henry Akina teilt. Er ließ sich, damit ihm das Publikum ja nicht wegpennt, viele schrecklich lustige Scherze einfallen, sowohl von der derb-tümlichen wie der didaktisch-belehrenden, aber immer von der völlig überflüssigen Art - dergestalt, daß der Witz der Musik bald ganz und gar von den Bildern übermalt war. Akina hätte sich diesmal doch besser auf seinen Kapellmeister Brynmor Llewelyn Jones verlassen sollen, der das Orchester beherzt und mit Liebe durch Paisiellos Partitur führte: eine Musik, die so gut wie nie neapolitanisch nähmaschinenmäßig ihre Streicherpassagen herunterschnurren läßt, sondern mit höchst farbigen Bläsern und kleinen harmonischen Abgründen die Ironie des schnellen Librettos so recht a tempo über die Rampe bringt. Die Rezitative accompagnato, zu den Arien die lockende Klarinette oder das neckische Fagott, selbstredend eine fetzige Gewittermusik vor dem großen Showdown - und viele gemeine kleine Ensembles, die beinahe aus Cosi fan tutte stammen könnten. Die Ensembles überhaupt gelangen am schönsten - aber auch sonst sangen alle Sänger ganz erstaunlich vorzüglich, und jedes Wort war bis in den letzten Winkel zu verstehen.

Das darf man freilich im Haus der Deutschen Oper gar nicht erst erwarten. Dieses riesige Schwimmbad wurde ja auch gebaut nach den Maßstäben einer Opernästhetik, bei der es nichts zu verstehen gibt. Das heißt: nach der des 19. Jahrhunderts. Paisiellos Wortmusikwitze etwa wären in den ca. drei Quadratkilometern Bühnenraum der Bismarckstraße sowieso rettungslos verloren - dagegen ist es bei der Musik Verdis oder Wagners ziemlich wurscht, ob sie da nun gerade von „amore“ oder „traditore“ singen, ob es „des Schwertes Schneide zu schmecken“ oder „der Minne Macht zu entsagen“ gilt. Das aufrauschende Crescendo der großen Orchesterharfe, die geschwätzigen Leitmotive und die aufgeladene Harmonik sagen es ja deutlich genug: es geht hier um Liebe, Tod und Leben. Was irgendwie alles dasselbe ist - jedenfalls geht es immer aufs Ganze.

In Leos Janaceks Oper Die Sache Makropulos geht es zwar auch um Leben und Tod, aber das Stück stammt aus dem 20.Jahrhundert und baut auf die fein verpuzzelte Psychologie des Dialogs. Eine wie auf Nadelspitzen pointierte Sprachmelodik wie die Janaceks verträgt schon kaum eine Übersetzung, weshalb sich der Komponist auch mit seinem Verehrer Max Brod, der das Stück zuerst ins Deutsche brachte, überworfen hat. Übersetzt muß es freilich werden. Doch auch die schöne Neuübersetzung von Sona Cervena und Christof Bitter nützt gar nichts, wenn sich die Textverständlichkeit in der Tiefe des Raumes verliert und die Sänger sämtlich nur schöne Töne verströmen. Was die arme Elena Makropulos anbetrifft, die vor dreihundert Jahren als Versuchskaninchen für ein Lebenselixier benutzt wurde und seither wie eine Katze viele Leben leben mußte, so ist nur verständlich, daß ihr mittlerweile alles egal ist. Von dem Rechtsstreit aber, in den sie sich gleich im ersten Akt einmischt, von der verteufelten Lage aller Beteiligten, die am Ende den Tod als Erlösung nicht nur für Elena bringt, von dem ganzen Ausmaß der Leiden und Bosheiten ist nichts zu begreifen - und mit dumpfer Ahnung allein und einigen im Programmheft schön erläuterten Details kommen die glühenden Gefühle dieser Oper nicht aus.

Die Sache Makropulos ist eine Wahnsinnsgeschichte, doch liegt der Wahnsinn in den Worten und ist nicht auf einfache Formeln zu bringen. Die asketische Schwarzweiß-Dialektik, das Licht-Schatten-Spiel mit wandernden Wänden und klaren Symbolen, wie der Regisseur Günter Krämer es schon so oft, gerne und bei anderen Opern auch erfolgreich zelebriert hat, zieht diesem Stück sämtliche Zähne. Dabei ist die Inszenierung gar lieblich anzuschauen, sie hat auch ihre eigne, wohlgerundete Logik: allerfeinstes Kunstgewerbe, bestimmt furchtbar teuer und vom Premierenpublikum umjubelt. Schon allein der blutrote Samtvorhang mit der Projektion einer an die heilige Jungfrau gemahnenden Königin der Nacht im Übergang zum zweiten Bild war das Geld wirklich wert. Im übrigen brachte Jiri Kout am Pult das Orchester nach und nach auf volle Touren, und auch die Sänger schlugen sich wacker.

Wieder einmal gestaltete die Gattin des Generalintendanten die Hauptrolle, was ihr bei unproblematischer Mittellage und viel Parlando gut glückte. Verstehen konnte man sie freilich auch nicht. Der Generalintendant selbst sagte anschließend auf der Premierenfeier, jetzt sei es aber endlich genug mit den slawischen Frauenschicksalen, weshalb Krämer demnächst wohl etwas anderes machen muß. Außerdem erzählte er vom Erfolg einer Ost/Westberliner Opernkonferenz, die Sonntag morgens stattgefunden hatte und künftig eine Abstimmung des Spielplans an allen drei großen Häusern, weniger Doubletten im Repertoire, und für 1993 eine Inszenierung von Harry Kupfer hier im Westen verheißt.

Was die West-Premieren vom Wochenende betrifft: es lohnt sich auf jeden Fall, beide Produktionen zu besichtigen. Zwar hat es in der Berliner Kammeroper durchaus schon bessere Inszenierungen gegeben und an der Deutschen Oper schon sehr viel schlechtere. Aber abgesehen davon, was die Regie sich so alles ausdenkt, gibt es in der Oper gottlob immer noch die Musik. Und die von Paisiello ist, wie die von Janacek und doch so anders, ganz sonderbar und wundervoll.

Elisabeth Eleonore Bauer

Weitere Aufführungen: „Barbier von Sevilla“ im Hebbeltheater am 26. und 27.Januar, jeweils 19.30 Uhr;

„Sache Makropulos“ in der Deutschen Oper am 6. und 18.März und am 27.April.

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