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Erste sozialistische Aktiengesellschaft geht an den Start

Ungarisches Reisebüro Ibusz geht an die Börse / Eine Wiener Bank wird das Papier in Budapest und in Wien gleichzeitig einführen / American Express als großes Vorbild  ■  Aus Wien Reinhard Engel

„In den nächsten fünf Jahren könnten einige hundert ungarischer Unternehmen an der Börse sein.“ Die forsche Zukunftsvision entspringt keinem westlichen Yuppie-Kopf, ganz im Gegenteil: Dr. Zsigmond Jaray ist amtierender Vize -Finanzminister in Budapest. Der jugendliche Ex-Banker, der in der magyarischen Hauptstadt den Kapitalmarkt aufbauen soll, präsentiert diesen „schönen Plan“ (Jaray) der internationalen Presse, noch bevor die Börse in Budapest überhaupt gesetzlich etabliert war. Denn das einschlägige Gesetz - ursprünglich für November auf der Agenda des Parlaments - wurde dort mehrmals verschoben. Das wackelige Budget über die Runden zu bringen, stellte ganz einfach Priorität Nummer eins für die Regierung Nemeth dar.

Aber mit der De-facto-Schaffung des Kapitalmarktes allein ist es nicht getan. Die ungarischen Anleger wollen erst von ihren Sparbüchern und Anleihen weggelockt werden - ein auch in manchen westlichen Ländern gar nicht so unbekanntes Problem. Also müssen die ersten Börseneinführungen spektakulär und erfolgreich sein.

Mit der Reisebürogruppe Ibusz hoffen die Wirtschaftspolitiker in Budapest ihre ideale Einstandsfirma gefunden zu haben. Sie hat - für ein osteuropäisches Produkt - einen gut eingeführten Markennamen, ihre Verdienste in den letzten Jahren konnten sich sehen lassen, und die Eckdaten der gesamten Tourismusbranche zeigen nach oben. Ibusz soll aber nicht nur in Budapest Neuland betreten. Die Reiseaktie wird gleich donauaufwärts nach Wien ziehen und damit als erstes „sozialistisches“ Unternehmenspapier an einer westlichen Börse eingeführt werden.

„Uns ist die Einführung in Budapest gar nicht so wichtig gewesen“, rückt Peter Zelnick, Leiter der Abteilung Kapitalmarktfinanzierung bei der Wiener Girozentrale, die Motivation seiner Bank zurecht. „Darauf haben die Ungarn bestanden, um ihren Markt in Gang zu bringen.“

Die Giro, ein Zentralinstitut der österreichischen Sparkassen, durchsuchte seit Mitte des Vorjahres den ungarischen Markt systemastisch nach börsefähigen Firmen. Eine erfolgreich bewältigte Transaktion als Syndikatsführer

-der ohne Börsenhandel getätigte Verkauf von Tungsram an General Electric - gab dann noch zusätzlichen Auftrieb. Zuerst einmal kämmten die Wiener die leistungsstarken Sektoren der ungarischen Wirtschaft durch. Grundstofforientierte Firmen waren die ersten, die dabei herausfielen. Als weiteres Kriterium wurde dann noch eine gewisse Erfahrung mit den Prinzipien von Konkurrenz und Markt formuliert. Rund 20 Firmen stellten sich bei diesem Leistungstestals interessant heraus, bei Ibusz blieben die Giro-Banker schließlich hängen. Einer der für Ungarn zuständigen Manager: „Das heißt jetzt nicht, daß die die einzigen sind. Mittelfristig sind für uns etwa zehn weitere ungarische Unternehmen reif für die Einführung an der Börse.“

Wer ist Ibusz?

Die Ibusz Rt oder Ibusz AG ist eine Tourismus- und Finanzdienstleistungsgruppe mit mehr als 3.000 Angestellten, rund 100 Inlandsbüros, elf Auslandsniederlassungen und ebenso vielen internationalen Repräsentanzen. Der Umsatz belief sich im Geschäftsjahr 1988 auf 36,4 Milliarden Forint (etwas mehr als einer Milliarde DM), wobei aber lediglich sieben Milliarden aus dem Tourismus stammten. Die restlichen 29 Milliarden kommen aus dem Finanzsektor: Sie resultieren aus dem Geldwechselgeschäft, aus Kreditvergaben an ungarische Firmen oder aus Abrechnungen der internationalen Kreditkarten-Organisationen, die in Ungarn alle über Ibusz laufen.

Aus dem Gesamtumsatz erwirtschaftete der Mischkonzern in den letzten fünf Jahren jeweils zwischen 500 und 700 Millionen Forint Gewinn, 1989 dürfte es mehr als eine Milliarde sein. „Das war sicher außergewöhnlich gut“, so die Generaldirektorin Dr. Erika Szemenkar. „Für die nächsten Jahre erwarten wir mindestens 800 Millionen, eher wieder gegen eine Milliarde.“

Die Marktanteile von Ibusz am ungarischen Tourismus liegen beim Incoming-Geschäft bei rund 30 Prozent, im Outgoing bei etwa 55 Prozent. Damit ist die AG Marktleader in beiden Segmenten. Außerdem hält Ibusz noch Beteiligungen an 14 Firmen, darunter an drei Hotels (Erzsebet, Hungaria, Margaretas), an einem Golfplatz, an einer Versicherung und einen Mini-Anteil an einer Bank.

Ibsuz selbst wollte „im allgemeinen Joint-venture-Fieber“, so ein Banker, ursprünglich in Westeuropa auf Partnersuche in der Reisebürobranche gehen. Für eine reine Finanzbeteiligung über die Börse sprachen allerdings mehrere Gründe. Die Gefahr, von einem Großen an die Wand gedrückt zu werden, sei kaum zu umgehen, lautet etwa ein gewichtiges Argument. Oft wollen überregionale Gruppen sich lediglich billig zusätzliche Marktanteile verschaffen, von Managementtransfer kann dann keine Rede mehr sein. Und im übrigen benötige Ibusz gar nicht so notwendig zusätzliches Know-how wie viele andere ungarische Firmen.

„Über Joint-ventures bei manchen Töchtern der Ibusz AG mag man ja später nachdenken“, verteidigt einer der Wiener Giro -Manager den Weg an die Börse. „Aber dann kann die Firma aus einer Position der Stärke und Unabhängigkeit heraus verhandeln.“

Der Weg an die Börse

Ibusz tut sich mit der Böeseneinführung wesentlich leichter als so manche anderen börsenwilligen Ost-Firmen. Denn die Reisebüro-AG, die immerhin schon seit 1902 existiert und damals zu den Gründern des Deutschen Reisebüros gehörte, ist nie formell in einen bürokratisch organisierten Verwaltungsbetrieb oder in eine Ministerialabteilung umgewandelt worden. Lediglich die Eigentümer der AG waren seit der Verstaatlichung drei ungarische Ministerien, und diese sind heute mit einer Teilprivatisierung einverstanden.

Die Privatisierung soll dann in zwei zeitlich koordinierten Schritten erfolgen: Die Aktienmehrheit wird weiterhin beim ungarischen Staat liegen. Westliche Investoren sollen das Grundkapital um 30 Prozent oder 400 Millionen auf 1,2 Milliarden Forint aufstocken. Weitere rund 120 Millionen Forint sollen auf dem ungarischen Markt aufgebracht werden, je zur Hälfte von Mitarbeitern im Rahmen einer begünstigten Kreditaktion und von unabhängigen Investoren. Auch letztere sollen die Wertpapiere übrigens direkt bei einer der rund 100 Ibusz-Filialen erwerben können, was den Verkauf erheblich erleichtern sollte.

Damit werden Bus-Chauffeure, Geldwechsler und Reisebüroangestellte unter dem orange-blauen Signet zu den ersten Osteuropäern gehören, die auf die Teilhaberschaft an ihrer Firma auch einen einlösbaren Rechtstitel in der Hand haben und diese Anteile darüber hinaus - nach einer Sperrfrist - verkaufen können.

Die Papiere werden in Ungarn und in Österreich als Namensaktien emittiert, die in den Depots der Kontrollbank bzw. Nationalbank liegen. Gehandelt werden darauf ausgegebene Inhaber-Zertifikate. Die Aktien lauten auf Forint und werden in Wien zum jeweiligen Tageskurs in Schilling notiert.

Mit dem bei den Einführungen erlösten Geld will das Ibusz -Management vor allem seine Finanzdienstleistungen ausbauen. Das große Vorbild für Generaldirektorin Szemenkar ist American Express als Konglomerat von Tourismus- und Finanzfirmen. „Wir würden gerne 'Hungarian Express‘ werden.“

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