: VOM TOD UMFANGEN
■ „Todesbilder“ der peruanisch-deutschen Grupo Chaclacayo im Künstlerhaus Bethanien
Im oberen Stockwerk ist ein weiblicher Unterleib aufgebaut. Zwischen den Stoffbeinen, mitten in der Vagina steckt ein schwarzer Herrenschuh: „Mythos und Dogma der unbefleckten Empfängnis“. Beim Durchgang durch die Bethanienkapelle klimpert leise Musik. Atmosphäre zum Erinnern.
Da war dieses Wort, Unkeuschheit, ein ungeheuerliches, monumentales Wort, rätselhaft und wuchtig zugleich. Ein Verbotswort unklaren Inhalts und Ausmaßes, widerliches Insekt aus einer uralten Zeit. Wieder und wieder muß der Beichtspiegel durchforscht werden, sind alle Kriterien erfüllt, unkeusch in Gedanken, Worten und Werken, leise penetriert die Zensur alle unschuldige Natur. Da war stets der Mangel an Fantasie, wenn es darum ging, sich den leibhaftigen Mord am Herrn Jesus vorstellen zu können. Sie lebte in anderm Inventar, in den Requisiten der elendlangen vollgestopften Sonntagsgottesdienste, in den vielen Arten von Hüten, von Stoffen, von faltigen Hälsen, gilfenden Gesangsstimmen, Mund- und Körpergerüchen, sie setzten sich lässig durch gegen das lahme Strömen von der Kanzel. Weihrauch, weißgestärkte Ministrantenhemden, der falsche aber laute Schreigesang und manchmal süße Orgelklänge von einem studierten Praktikanten - das waren Lüste der Entsagung, nichts dagegen ihre Realisierung. Armselige Vergnügungen, die nicht durch das Geheimnis, die Scham, die Schuld, den Aufschub hindurch errungen worden sind, armselige Schönheit, die nicht am Unerreichbaren sich entzündet, und ewiges Scheitern programmiert: „Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen“.
Wieviel ungelebtes Leben, wieviel Todesarten können aufgesogen werden von dieser praktizierten Todesästhetik? Wieviel Erotik wird davon geprägt? Wirft man sie ab wie ein Panzer, reißt man tief ins Fleisch oder wird hohl und kalt. In den so gar nicht exotischen Bildern und Installationen der peruanisch-deutschen Grupo Chaclacayo kehrt sie wieder, die katholische Ikonographie, aber vor allem auch die durch Entzug geschulte Sensibiliät für die Stofflichkeit, die im Widerspruch steht zu ihrem erschreckenden, manchmal ekeleregenden Bildgegenstand. Kommt daher die Fantasie der Folterer, die unendliche Geduld der Mystiker, der leidenden Heiligen?
In den rosa Stoffen, Wattebäuschen, Schleiern, Spitzendeckchen, Strümpfen, Haaren und roten Herzen sitzen die auf- und ausgesparten Lüste, aufgeladene Fetische, ihrem Zusammenhang entrissen, neu und individuell kombiniert und konfrontiert mit ihrer Auslöschung und Zerstörung: mit blutgefüllten Kanülen, Einschußlöchern, zerquetschten Penissen, zerfleischten Vaginas, Gebissen. Kinderfotos werden von schwellenden Penissen aufgespießt, umfangen, ausgehöhlt. Noch das Heiligenbild wird als Röntgenaufnahme unwiederruflich materialisiert. Die blutige Realität von Kreuzigung und Abendmahl, die die europäische, zivilisierte Kirche zu allgegenwärtigen Formeln abstrahiert hat, ist auf einmal mehr als ein zitiertes Sujet. Im in Bürgerkriegsformen eskalierten, zwischen rechtsextremer Militärdiktatur und den Guerilleros des „Leuchtenden Pfads“ aufgeriebenen Peru besetzt Folter und Tod offensichtlich Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in so massiver Weise, daß alles davon durchdrungen ist.
Und doch sind die Arbeiten der Grupo Chaclacayo das positive Gegenstück zum Zerrbild engagierter politisch funktionalisierter Kunst, die lange das Image der Kunstszene Lateinamerikas beherrschte. Die „Todesbilder“ entbehren nicht des Sarkasmus, des schwarzen Humors mit dem alten Bekannten Tod. In den ausgestellten Fotos früherer Performances verbinden sich christliche Riten und Volkskultur zu Inszenierungen von magischem Reiz. Am pazifischen Ozean wird mit großen Zauberhüten, schwarzen und weißen wehenden Tüchern ein Helden- und Heiligenkult verarbeitet: „Vom Sterben eines bösen Mythos“ zeugt von der Ambivalenz von Schönheit und Schrecken, Poesie und Gewalt. Mit vier Tonnen Kunst ist die Grupo Chaclacayo in Europa gelandet, um den ganzen psychischen und sozialgeschichtlichen Ballast vor denen auszuschütten, von denen er stammt.
Dorothee Hackenberg
„Todesbilder. Peru oder Das Ende des europäischen Traums“ im Künstlerhaus Bethanien bis 18. Februar, täglich außer Montag 14 bis 19 Uhr, Eintritt frei.
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